Die Malerin von Fontainebleau
Natürlich durfte er sich nicht anmerken lassen, dass er davon wusste. Ganz im Gegenteil, er würde sich zieren, sich weigern, den Titel anzunehmen, dessen er nicht würdig sei. Aber schließlich, nur um seinem Herrn und König zu dienen, würde er die Bürde auf sich nehmen. Alle würden sie da sein und feierlich den Schloss-Saal betreten, die Bogenschützen, die Schweizer, die Ritter vom Michaelsorden, die Edelleute des königlichen Haushalts, die Herolde,
Pommereul, der Kanzler du Bourg, endlich der König selbst, begleitet vom Kardinal von Lothringen und seinen beiden Söhnen. Und dann würde er selbst vortreten in einer roten Samtrobe, bestickt mit Gold und Silber. Die ersten Hofdamen würden ihm huldigen, darunter auch Madame d’Étampes, deren Zähneknirschen er bereits jetzt zu hören glaubte. War ihr derzeitiger Geliebter nicht der Marquis von Saint-Flour? Eine Information, die sich verwenden lassen sollte.
Ein Habicht kreiste lautlos über der Wiese neben dem Fluss. Einem Raubvogel wähnte er sich selbst ähnlich, immer bereit, auf die Beute hinabzustoßen. In Gedanken sah Montmorency sich vor dem König knien, die Hand zum Eid auf das »wahre Kreuz« gelegt, die kostbarste Reliquie des Reiches. Er würde dem Kanzler den Eid nachsprechen, »den König gegen jedermann zu verteidigen, ohne etwas zu schonen und bis in den Tod«. Und endlich würden die Trompeten schmettern und die Herolde verkünden: »Vive Montmorency, Connétable de France!« Welch ein Triumph!
»Montmorency, was ist mit Euch? Habt Ihr einen Geist gesehen?« Der Kardinal von Lothringen war zu ihm aufgeschlossen.
»Exzellenz, verzeiht. Ich war in Gedanken.« Montmorency lächelte. »Kein Geist, eine Vision, nur eine Vision.«
Der edle Braune des Kardinals tänzelte auf dem schlüpfrigen Untergrund. »Eine Vision für Frankreich? Ihr habt viel getan für dieses Land. Eine Belohnung stünde Euch zu.«
»Ich erfülle nur meine Pflicht und diene meinem König, so gut ich kann.«
»Allzu viel Bescheidenheit steht Euch nicht. Aber bevor wir nach Saint-Flour – ein elendes Nest, verzeiht – hineinreiten, eine Frage – wie steht es mit den Tälern der Vaudois? Ich hatte Nachricht, dass der aufsässige Ketzer Farel Streit
mit de Montjehan hat, der jetzt Gouverneur von Turin ist. Ich dachte nur, weil wir gerade in der Nähe sind.« Die Augen des Kardinals blinzelten listig.
»Wie immer denkt Ihr praktisch. Ja, René de Montjehan hat mir geschrieben, und ich werde ihm den Rücken decken, falls er es für notwendig erachtet, regulative Maßnahmen zu ergreifen.« Montmorency zog an den Zügeln und lenkte sein Pferd Richtung Plateau.
»Sehr diplomatisch ausgedrückt. Vergesst diese Formulierung nicht, falls Ihr die Folgen von Montjehans Strafaktion rechtfertigen müsst.« Der Kardinal fuhr sich genießerisch über den Bart. »Hoffentlich haben sie dort oben einen guten Rotwein.«
Der Lander floss ruhig durch sein ausgewaschenes Bett, während Schneeflocken vom Himmel fielen und die beiden Grandseigneurs Frankreichs einträchtig ihrem Nachtquartier zustrebten.
XVII
In vino veritas
L uisa roch den frisch angerührten Mörtel und war so glücklich und zufrieden wie lange nicht. Gestern war ein Brief von Pietro gekommen. Es ging auf die Mitte des Februars zu, der Brief war also fast zwei Monate unterwegs gewesen. Pietro schrieb zwar nicht von seinen Gefühlen ihr gegenüber, aber er berichtete von der Werkstatt, von den neuen Aufträgen und von Simonetta und ihren Kindern. Alle waren gesund, und es schien, als hätte Pietro ihr vergeben. Er verlangte nicht, dass sie nach Hause kam, sondern wünschte ihr sogar Glück. Das war mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte, und sie nahm sich vor, ihrem Bruder einen langen Brief zu schreiben und ihm so viel Geld zu schicken, wie sie erübrigen konnte. Natürlich würde sie Armidos Abenteuer in abgeschwächter Form erzählen und ihre Beziehung zu Rosso verschweigen. Sie durfte nicht erwarten, dass Pietro das verstand.
Automatisch griff sie nach ihrer Kappe und prüfte den Sitz ihres Wamses. Niemand von den Männern hier würde verstehen oder gar akzeptieren, dass eine Frau an der Seite des Meisters arbeitete. Und Luisa traute beinahe allen zu, sie an die Sorbonne oder einen von Tournons Spitzeln zu verraten, wüssten sie von ihrer Verkleidung. Künstler waren ein eifersüchtiges Völkchen. Sie musste sich nur Primaticcios Konkurrenzkampf mit Rosso vor Augen halten. Der Bologneser,
der mit seinen Leuten noch
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