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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
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und kehrte in den Waggon zurück, keuchend vor Aufregung. Veras Uniformmantel hing am Nagel. Sie schlief auf ihrem Platz unter der Pritsche. Wäre Vera mit Rosaj durchgebrannt, wäre ich unendlich unglücklich gewesen, aber möglicherweise hätte ich es auch für einen wunderbaren Schachzug gehalten und sie noch stärker geliebt. Es schien mir, als bedauerte ich beinahe, daß es nicht so kam.
    Ich setzte mich allein ans Feuer und saß dort bis zum Morgengrauen mit einer wehmütigen Sehnsucht nach meiner Einsamkeit, nach mir selbst. Ich erinnerte mich an meine Erstickungsanfälle; ich hatte sie nicht mehr. Nun schien mir sogar an ihnen etwas liebgeworden, gemütlich und für immer verloren.
XIX.  Ich saß in dem Holzhäuschen, das anstelle eines richtigen Bahnhofs errichtet worden war. Es war warm und leer, nur die Eisenbahner vom Betriebsbahnhof schauten hier gelegentlich vorbei. Ich wartete auf Vera, blätterte im Goethe, rauchte, schaute aus dem Fenster, wie die Eiszapfen am Dach tauten, und horchte auf alle Schritte.
    Am Morgen, noch auf der Pritsche, hatte ich eine Unterhaltung mit Nina Aleksejewna gehabt.
    »Ich weiß nicht, wofür man Sie in diesem Waggon so sehr haßt«, hatte Nina Aleksejewna gesagt.
    »Tatsächlich haßt? Ich weiß auch nicht, wofür«, hatte ich ohne jegliches Interesse erwidert.
    »Sie merken es wohl nicht einmal«, sagte Nina Aleksejewna.
    »In der Tat, ich merke es nicht«, sagte ich.
    »Sie sehen sie nicht, Sie sind von früh bis spät nicht da. Aber wenn Sie zusammen mit Vera verschwinden, spielt Levit ihnen alles vor, was Sie, seiner Meinung nach, mit ihr machen. Sie wissen ja nicht, wie sie wiehern. Sie nennen Sie einen Gottesnarren. Und Galopowa spielt sich mit Geschichten auf. Sie belauert Sie«, sagte Nina Aleksejewna.
    »Mein Gott, lassen wir sie reden, was sie wollen«, antwortete ich.
    »Ich kann das aber nicht ertragen. Sie beobachten Sie in wollüstiger Erregung. So viele Abscheulichkeiten habe ich im ganzen Leben nicht gehört. Und das Wichtigste ist, daß ihr ganzer Haß über mich hereinbricht, weil ich mich einmische und diese Vorstellungen beende«, sagte Nina Aleksejewna.
    »Teure Freundin, ich bin verzweifelt, es ist schrecklich, daß Sie meinetwegen solche Widrigkeiten ertragen müssen«, sagte ich.
    »Und Ihre Vera ist auch großartig, wenn sie Sie verteidigt. Man springt mit ihr nicht zimperlich um. Man sagt ihr, daß Sie ein Gottesnarr seien, und sie antwortet: ›Nein, er ist so ein guter, lieber Mensch‹, als wären Sie ein Landarzt oder Dorflehrer«, sagte Nina Aleksejewna verdrossen.
    »Ich glaube, sie spricht, wie sie kann«, sagte ich.
    »Seien Sie mir bitte nicht böse, aber ich kann nicht mehr in diesem Waggon bleiben. Man hat mir einen Platz in einem anderen zugesagt, und ich werde heute dorthin umziehen«, sagte Nina Aleksejewna.
    »Ich bin unendlich traurig, daß ich Ihrer Gesellschaft entbehren werde, aber ich wage nichts einzuwenden, wenn es hier so unangenehm für Sie ist«, antwortete ich.
    »Ich bin mir völlig sicher, daß Sie mich kein einziges Mal besuchen werden«, sagte Nina Aleksejewna.
    Vielleicht war der Klatsch im Waggon tatsächlich schon unmäßig geworden, aber was konnte ich machen? Ich war nicht in der Lage, mir etwas Gescheites auszudenken, sagte Vera nur, daß ich von nun an immer eine Stunde vor ihr aufbrechen würde, um unsere gemeinsame Abwesenheit weniger provokativ aussehen zu lassen. Das war der Grund, warum ich nun im Bahnhof saß. Vera aber kam, ohne den verabredeten Zeitabstand durchgehalten zu haben.
    »Wissen Sie, Verotschka, daß Nina Aleksejewna uns verläßt?« fragte ich.
    »Ach, da bin ich froh«, sagte Vera.
    »Warum sind Sie denn froh? Nina Aleksejewna ist meine Freundin. Und sie meint es sehr gut mit Ihnen«, sagte ich.
    »Gut möglich, daß sie Ihnen eine Freundin ist, aber mir ist sie auf keinen Fall eine Freundin«, antwortete Vera. »Für mich ist es jedes Mal kränkend, wenn Sie mit ihr reden. Mir wiederholen Sie nur, daß Sie mich lieben, und alle interessanten Gespräche führen Sie mit ihr. Ich bin zu dumm für Sie.«
    »Verotschka«, sagte ich. »Worüber auch immer ich mit ihr spreche, ich liebe doch trotzdem Sie und nicht Nina Aleksejewna.«
    In den Feldern war es windig und sonnig. Hinter einem Feld gab es ein Wäldchen.
    »Wir sind nie dort gewesen«, sagte Vera.
    In dem Wäldchen und dem schmalen Hohlweg, der zu ihm führte, war es ganz still. Der Schnee lag in riesigen weißen Polstern auf den

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