Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
Vom Netzwerk:
grausame Todesangst. Früher, wenn ich Atemnot bekam, gab es immer so etwas wie einen Gedanken. Jetzt gab es ihn nicht. Ich fürchtete die Wände, die einstürzen und mich zerdrücken konnten.
    Es wurde still, aber gerade das spannte die Angst wie eine Saite. Als sich die Waggontür öffnete, zuckte ich zusammen. Vera stürzte zu mir.
    »Hast du Angst, Verotschka?« fragte ich.
    Zuerst war Vera nicht in der Lage zu antworten, dann sprach sie fieberhaft schnell und flehte mich an, sofort mit ihr zu verschwinden und für die Nacht ein gemeinsames Versteck im Dorf zu suchen.
    Das Motorgeräusch meldete sich wieder und zog vorüber.
Noch ein Anflug,
dachte ich.
    »Ich bitte dich, Verotschka, wer würde uns denn erlauben zu gehen?« sagte ich.
    Dann ertönte erneut ein Knall, und Vera verschwand so plötzlich, daß ich mich mit Staunen umsah. Schließlich traf eine Bombe einen der Waggons, etwa vierzig Schritte von uns entfernt; aber das war schon die letzte. Bald begann man sich langsam im Waggon zu sammeln. Ich ging hinaus, um Vera zu finden. Sie stand da, so kraftlos, daß sie keinen Schritt machen konnte. Und trotzdem bat sie mich gleich wieder, mit ihr ins Dorf zu gehen.
    »Verotschka, alles ist schon vorbei, und außerdem ist es peinlich, sich so zu retten«, sagte ich.
    Vera brach in bittere Tränen aus.
    »Du willst einfach nicht mit mir gehen. Ich bin dir peinlich«, sagte Vera.
    »Unsinn«, antwortete ich und führte sie zurück in den Waggon. Dort herrschte eine furchtbare Aufregung. In den benachbarten Waggons gab es Tote. Niemand wagte es, sich wieder hinzulegen. Man lief minütlich hinaus und horchte, ob der Motor wieder brummte.
    »Ist Nina Aleksejewna wohlauf?« fragte ich Aslamasjan, der als letzter erschien.
    »Heil und unversehrt«, sagte er und verkündete den Befehl der Obrigkeit: Alle hatten umgehend die Waggons zu verlassen und bis auf weiteren Befehl im Dorf Kamenka zu bleiben.
    Vera wurde munter. Ihre Erschöpfung war sofort verflogen. Sie begann fieberhaft zu packen.
    »Du gehst mit mir«, sagte sie.
    »Natürlich mit dir, Verotschka«, antwortete ich.
    Wir gingen als letzte. Es war schon finstere Nacht. Mich fröstelte, im kalten Wind fühlte ich mich ganz krank. Vera führte mich. Wir klopften an ein Holzhäuschen mit durchhängendem Strohdach.
XXI.  Anna, die Frau, bei der wir einquartiert waren, war klein, rotwangig, immer mit einem Kopftuch, sie trippelte unentwegt von einer Stelle zur anderen und ähnelte einem knorrigen Baum. Ein winziges Kämmerlein mit zwei Fenstern, ein unlackierter Tisch, zwei Bänke, ein Spind, ein Ofen und eine »Empore«, ein welliger Lehmboden, in der Ecke eine Ikone – das war unsere Hütte. Verotschka und ich bewohnten die Hängepritsche neben dem Ofen, die man hier, Gott weiß, warum, »Empore« nannte, auf einem Lager, hergerichtet aus unseren Uniformmänteln, einer Decke und der Feldtasche mit den Büchern, die als Kissen diente. Vera hatte unser Bett zurechtgemacht und ergötzte sich daran, als sähe sie in ihm ihr eigenes Porträt. Im selben Zimmer wie wir lebten unsere Hauswirtin und ihr kleiner sechsjähriger Sohn, Sascha, der tagelang hoch wie ein Mücklein sang und alle Wörter dabei durcheinanderbrachte, die Melodie aber nie falsch sang. Vera brachte ihm die Liedchen richtig bei. Wenn wir aus dem Fenster blickten, sahen wir die Hügel, und an sonnigen Tagen schauten wir uns an, wie schmale Bäche an ihnen hinunterliefen. Der Zug stand hinter den Hügeln.
    Auf dem Tisch erschienen der kleine Reisespiegel aus meinem Necessaire und Veras Schatullen, Puderdosen und Flakons. Auch mein Foto wurde ans Licht gezogen und an den Spiegel gelehnt. Ich saß so am Tisch, als sei ich der Hausherr. Vera drehte und wendete sich in der kleinen Kammer und füllte damit den ganzen Raum, fand für jedes Ding seinen Platz und kam jede Minute zu mir gelaufen. Dann zog sie sich möglichst fein an, steckte das Haar hoch und setzte sich neben mich. Ich legte ihr den Arm um die Schultern, und sie lehnte den Kopf gegen meine Brust.
    »Gefällt dir, wie ich alles hergerichtet habe?« fragte Vera.
    »Du gefällst mir – mehr als alles auf der Welt«, antwortete ich.
    Vera gab sich mit dieser Antwort zufrieden.
    »Und es langweilt dich nicht, so zu leben?« fragte ich.
    »Du mußt mich nur lieben, dann wird es nicht langweilig«, sagte Vera, setzte aber unvermittelt hinzu: »Laß mich mal ausreiten!«
    »Wie, ›mal ausreiten‹?« fragte ich äußerst erstaunt.
    »Mich lädt ein

Weitere Kostenlose Bücher