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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
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Kosak ein.«
    »Wo hast du den denn her?« fragte ich.
    »Wir haben uns im Bahnhof kennengelernt.«
    »Wann denn?«
    »Während der Bombardierung. Wir haben uns zusammen versteckt.«
    »Na, dann kannst du selbstverständlich mit ihm reiten gehen«, sagte ich.
    »Ich würde das so gerne machen«, sagte Vera und küßte mich schnell auf die Lippen.
    »Also los!« antwortete ich.
    »Du darfst nur nichts Schlimmes denken«, sagte Vera und küßte mich wieder.
    »Du kannst reiten gehen«, antwortete ich.
    »Wenn es dir unangenehm ist, gehe ich nicht«, sagte Vera.
    »Ich nehme keine Opfer an«, antwortete ich.
    »Ich habe das alles nur erfunden, Liebster, es gibt gar keinen Kosaken, ich will nur, daß du bei mir bleibst«, sagte Vera und schmiegte sich an mich.
    Abends zündeten wir zur Beleuchtung Kienspäne in einem Halter an. Aslamasjan kam. Wir setzten uns an den Tisch. Vera spielte mit einer Hand Karten mit Aslamasjan, und den anderen Arm legte sie um mich. Der Junge sang wie ein Heimchen. Anna spann. In diesem öden Holzhäuschen und in meiner unmittelbaren Nähe war eine leibhaftige Manon Lescaut, in einem roten Seidenkleid und mit hochgestecktem Haar, was ihr eine Ähnlichkeit mit Marie-Antoinette verlieh.
    Ich hatte seit jeher ein bestimmtes Bild von Marie-Antoinette, ich wußte nicht mehr, ob ich es mir ausgedacht oder ob ich irgendwo darüber gelesen oder es gesehen hatte: Marie-Antoinette steht mit dem Rücken zum Saal am Fenster und schaut mit maßloser Anspannung zu, wie das Volk vor ihrem Palast tobt. Dann dreht sie sich abrupt um – ihr Gesicht ist schweißnaß. Ein Wesen aus Feuer, ohne Form, alle Leidenschaften klar dem wandelbaren, lebhaften Antlitz eingeprägt.
    Also gibt es auch im achtzehnten Jahrhundert – in dem so vollkommenen und todgeweihten – Züge von Jugend und Unzulänglichkeit, die sich in die Zukunft ausdehnten und in der Romantik aufblühten.
XXII.  Man löschte die Kienspäne früh. Der Junge und Anna schliefen geräuschlos auf dem Ofen ein. Im Haus war es heiß. Die Luft bei uns auf der Empore war zum Ersticken. Strohhalme stachen durch die Wolldecke und klebten am Körper. Vera wurde irgendwie anders; ich glaubte, daß sie sich mir nun wirklich öffnete. Etwas löste sich in dieser Dunkelheit auf, in der heißen und feuchten Luft. Das zartgliedrige Mädchen verschwand. Mir schien es, als werde Vera erwachsen und streng. Das Blut drang mir in die Schläfen und pochte schmerzhaft. Meine Atemnot meldete sich zurück; das Herz raste so, daß ich es mit der Hand festhalten mußte.
    Mitten in der Nacht begannen wir zu sprechen.
    »Ich will alles über dich wissen«, sagte ich.
    Vera wußte aber selbst wenig über sich. Da waren nur Bruchstücke und Scherben, die sie nicht mehr zusammenfügen konnte. Sie wechselten blitzschnell und gerieten durcheinander. Ein scharfer Splitter blieb in jeder Episode stecken. Ich begegnete ihrer Jugend. Billige Kinos, wo man im Stehen auf den Beginn der Vorstellung wartet. Freundinnen, mit denen es nie wirklich fröhlich wurde. Treppenhäuser mit trübem elektrischem Licht, wo sie sich verstohlen die Lippen schminkten. Sehnsucht, die zu nichts führte. Armselige Feste, die in fast so etwas wie ebenso armselige Orgien mündeten. Briefchen, Jungen, Korridore in der Schauspielschule. Ein Junge namens Ljowa in einem kurzen alten Mantel, der auf einmal mit einem neuen Anzug zu einem neuen Menschen wurde und Vera küßte. Dann gleich die Heirat mit einem bejahrten Nachbarn, Launen, Kränkungen und sogar etwas gänzlich Ungutes: Der Gatte hatte üble Eigenarten.
    »Er hat mich immer gekniffen, wer weiß, warum«, erzählte mir Vera.
    Dann begann der Krieg, und viele flüchtige Romanzen, die immer der Neugier entsprangen, folgten einander.
    »Hast du denn keinen von denen geliebt?« fragte ich.
    »Doch, das habe ich«, sagte Vera. »Nur denke ich heute, daß ich damals nicht geliebt habe. Mit dir ist es ganz anders. Und ich war nie so glücklich, wie ich es mit dir bin.«
    »Und deinen zweiten Mann, der so schön war, Aljoscha, liebtest du ihn etwa nicht? Und auch Koka nicht?«
    »Ach stimmt, sie waren zwei.«
    Ich dachte, daß beide für Vera fröhliche Feiergenossen hätten bleiben sollen, statt ohne besonderen Grund zu ihren Liebhabern zu werden. Ich fragte Vera nicht, wie es zu den Trennungen von ihren Geliebten gekommen war. Wahrscheinlich war sie rücksichtslos verlassen worden. Oder aber sie selbst hatte sich ohne jede Erklärung aus dem Staub

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