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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wsewolod Petrow
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sah sie nicht noch einmal an.
    Vor mir lag eine lange Reise durch alle Dörfer der Umgebung. Zur Übernachtung blieb ich in einem Feld, etwa dreißig Werst vom Dorf entfernt. In der Nacht weckte mich der Fahrer. Am Horizont stand ein riesiger Feuerschein. Wir hörten Explosionen.
    »Das ist in dem Dorf, wo das Spital ist«, sagte mir der Fahrer.
XXX.  Der Brief mit der Nachricht von Veras Tod, den die völlig niedergeschmetterte und verzweifelte Nina Aleksejewna geschrieben hatte, holte mich in einem entfernten Dorf ein. Ein junger Soldat aus dem Spital brachte mir den kleinen Umschlag. »Vera ist getötet. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen schreiben soll. Sie wurde ganz ausgelöscht, nicht einmal ihr Körper blieb. Das Zimmer, in dem sie sich aufhielt, ist vollständig zertrümmert. Ich fand nur einen Fetzen von ihrem Kleid. Ich konnte Ihnen nicht sofort schreiben, kann es auch jetzt nicht. Für Sie ist es noch entsetzlicher als für mich, und ich vergehe vor Entsetzen.«
    Mein Denken setzte so langsam ein, als dächte ich gar nicht, sondern sähe mich selbst von oben, geduckt, mit zitterndem Hals. Stünde ich, wäre es gut, zu fallen und den Kopf zu zerschlagen wie eine Wassermelone und zu sterben. Der Soldat wandte sich von mir ab. Mir schien, als ob ich auf einer Planke über dem Nichts schliche, kröche. Ich zuckte zusammen, als wäre ich abgestürzt, und packte den Soldaten an der Schulter.
    Er konnte mir fast nichts erzählen. Es hatte einen Bombenangriff gegeben, dann einen Brand. Es gab viele Tote und Verwundete. Das ganze Gebäude war zerstört. Eine Bombe hatte das Dach durchschlagen und war im Zimmer explodiert.
    »Kanntest du Vera?« wollte ich den Soldaten fragen, aber ich war nicht in der Lage, diese Worte auszusprechen.
    Ich fuhr sofort los. Es war schon Abend; den ganzen Tag hatte es geregnet, das Auto kroch langsam über den glitschigen Lehm, rutschte, blieb immer wieder stehen und verspritzte Schlammfontänen. Ich saß zusammengekauert in der Fahrerkabine, als drücke mich die Luft mit ihrer Schwere nieder. Mir war meine untilgbare Schuld gegenüber Vera bewußt. Ich war es, der sie zum Tode verurteilt hatte. Ich hatte eine Katastrophe erwartet und sie damit heraufbeschworen. Ich hatte ihre Untreue nicht verzeihen können. Sie war gestorben. Nun fiel es leicht zu verzeihen. Aber würde die Tote alles Schlechte verzeihen, was ich ihr angetan und was ich von ihr gedacht hatte?
    Der Wagen kam kaum vorwärts; schließlich blieb er mitten auf der Straße stecken. Die Räder drehten sich auf der Stelle.
    »Weiter kommen wir nicht«, sagte der Fahrer.
    Ich sprang heraus und ging zu Fuß weiter, ohne zu wissen, ob ich tatsächlich in Richtung Dorf unterwegs war.
XXXI.  Ich ging, ohne auf den Weg zu achten, über die lehmige, glitschige und schlammige Steppe. Um mich herum brachliegende Felder und Senken. Die Nacht brach schnell an. Der furchtbare Steppenwind blies unausgesetzt, und es regnete in Strömen. Ich konnte gar nicht anders als weitergehen. Mir wurde auf eine seltsame Weise leichter zumute, als ich allein war. Alles wurde anders: Das Gedächtnis hörte auf zu existieren, nichts blieb von den Verbindungen mit Menschen und Dingen, mit allem Leben, das in einer Form eingerichtet ist und darin verläuft; die Zeit verging nicht. Ringsum war Leben – ein besonderes, abseits aller Bestimmungen. Vera und ich betraten es ohne Namen. So konnte ich Vera aufs neue lebendig fühlen. Die Nacht war nicht dunkel und nicht hell – es herrschte ein seltsames Dämmerlicht, in dem man wohl sehen konnte, nur erschien alles verschwommen; die Gegenstände wurden zu formlosen Erinnerungen. Ich ging weiter, ohne die eigene Bewegung zu spüren: Unter meinen Füßen dieselbe Steppe, Regen und Wolken blieben dieselben. Vielleicht wandert die Seele so nach dem Tod. Vera war bei mir. Ich wußte, daß ich mich an der Grenze zwischen Leben und Tod bewegte und daß diese Grenze die Unsterblichkeit ist.
    Wahrscheinlich irrte ich lange durch die Steppe, bevor ich zum Fluß kam. Die Nacht wurde nicht dunkler und nicht heller. Möglicherweise fiel ich und stand wieder auf. Kann sein, daß ich im Kreis lief. Mir aber schien, daß ich immer geradeaus ging, wie an einem Faden entlang, der durch den Raum gezogen war. Ein Dorf lag an der Straße. Ich betrat ein fremdes Haus, breitete meinen Mantel auf dem nackten Boden aus und schlief augenblicklich ein. Man weckte mich kurz nach vier. Der Morgen war kühl, rein und lieblich. Die Sonne

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