Die Maori-Prinzessin
Tag voller Stolz »ihre« Stadt gezeigt. Sie waren erst die Marine Parade am Meer entlanggewandert und zum Abschluss auf den Bluff Hill gewandert. Vom Aussichtspunkt hatten sie einen herrlichen Blick über die Stadt und das Meer genossen. Tante Ha hatte sogar einen Picknickkorb mitgenommen, und sie hatten fürstlich gespeist. Die Krönung war eine erlesene Flasche Weißwein von der Bold Winery gewesen.
Der Tropfen hatte es in sich, denn Eva fühlte sich ein wenig angeheitert, als sie gegen Abend von dem Ausflug zurückkehrten. Sie hatten sich an einer Kreuzung von Tante Ha getrennt und bogen gerade – in ein angeregtes Gespräch vertieft – in die Cameron Road ein.
»Wie hast du Tante Ha eigentlich wiedergefunden? Und warum heißt du nicht mehr Ahorangi?«, fragte Eva.
Lucie blieb stehen und sah sie erstaunt an. »Habe ich dir das nicht bereits diktiert? Wie ich am Tag meiner geplanten Hochzeit mit Hehu von den ehemaligen Strafgefangenen entführt worden bin?«
»Doch, doch, das habe ich alles notiert. Nur nicht, wann du Tante Ha wiedergefunden hast und warum du deinen Namen geändert hast. Ich fand gleich, dass Lucie irgendwie nicht so richtig zu dir passt.«
Lucie lächelte. »Du bist schlau! Trotzdem nehme ich deshalb nichts vorweg. Wo und wie ich sie wiedergetroffen habe, ist noch lange nicht dran in meiner Geschichte, aber habe ich dir nicht von meiner Schwester berichtet, die auch von den Männern gekidnappt worden war?«
»Flüchtig nur, und du nanntest keinen Namen. Hattest du nur die eine Schwester? War das Tante Ha?«
»Ja, das war Harakeke, das mit Abstand aufsässigste Mädchen unseres Stammes.«
»Außer dir«, lachte Eva. »Und das mit dem Namen?«
»Sei nicht so ungeduldig. Ich werde es dir schon erzählen!« Lucie drohte spielerisch mit dem Finger. »Und vor allem sollst du gar kein eigenes Interesse an meiner Geschichte entwickeln!«
»Ich werde nicht mehr nachfragen«, lachte Eva. »Und ich schwöre, das interessiert mich kein bisschen. Es ist pure Höflichkeit, dass ich Fragen stelle.«
Lucie fiel in Evas ansteckendes Gelächter ein.
Sie waren jetzt bei dem Haus angekommen und sahen bereits an dem in der Einfahrt geparkten Wagen, dass Joanne und ihre Familie aus Wellington zurückgekehrt waren. Eva seufzte. Wie friedlich war es doch in dem schönen Haus gewesen, als sie allein dort gewohnt hatten.
Lucie hatte tagsüber mit geschlossenen Augen in einem Schaukelstuhl gegessen und aus ihrem Leben erzählt, während Eva ihre Worte niedergeschrieben hatte. Abends hatten sie dann gekocht und mit Adrian zusammen auf der Veranda gegessen. Eva war es zunächst befremdlich erschienen, dass sich das ganze Leben draußen auf der Holzveranda abspielte, aber das war etwas, woran sie sich schnellstens gewöhnen konnte. Was gab es Herrlicheres, als beim Essen in den blühenden Garten zu blicken, während die Kraft der Sonne langsam nachließ und es nicht mehr so heiß war? Und dann die zauberhaften Düfte, die von allen Seiten herüberwehten. Eva konnte sie kaum unterscheiden, geschweige denn die vielen unbekannten Pflanzen benennen.
Mit dieser besinnlichen Ruhe war es nun also vorbei. Lautes Geplapper drang durch das Haus, als sie in die Diele traten.
»Ich verzieh mich auf mein Zimmer. Sag Tante Joanne, ich hätte den Wein nicht vertragen«, flüsterte Eva Lucie verschwörerisch zu.
»Du glaubst doch nicht, dass ich mich freiwillig zu meiner Familie geselle?«, erwiderte Lucie.
Eva konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als Lucie zur Bekräftigung ihrer Worte auf Zehenspitzen die Treppe ins obere Stockwerk schlich. Eva folgte ihr. Sie umarmten sich vor Lucies Tür. Je näher Eva ihrem Zimmer kam, desto ruhiger wurde es. Hier oben herrschte eine himmlische Ruhe. Deshalb zuckte Eva zusammen, als hinter ihr eine männliche Stimme fragte, wer sie denn wäre.
Eva fuhr herum. Die Stimme gehörte zu einem jungen Mann, den sie auf Mitte bis Ende zwanzig schätzte. Er hatte rotblondes Haar, grüne Augen und Sommersprossen im Gesicht. Das Netteste an ihm war, dass er sie zwar durchaus überrascht, aber auch sehr wohlwollend musterte.
»Ich bin Eva Schindler, eine Verwandte aus Deutschland. Eine Cousine um ein paar Ecken. Großcousine sagt man wohl dazu. Sie haben sicher von mir gehört, aber glauben Sie Berenice kein Wort. Sie kann mich nicht leiden.«
Ein Grinsen umspielte seinen Mund. »Berenice ist zwar äußerst schwatzhaft, aber sie hat Sie mit keinem Wort erwähnt. Und weder mein Vater noch
Weitere Kostenlose Bücher