Die Marionette
mitgerissen. Er hat alles verloren.«
»Und du?«
Meisenberg zuckte mit seinen massigen Schultern. Valerie erfuhr von den Spekulationen an der Börse. Meisenberg, Bender und noch ein paar andere waren betroffen und nicht nur mit ihrem privaten Vermögen. Sie hatten auch Firmenkapital verzockt. Die Waffengeschäfte sollten zumindest diese Verluste kompensieren. Valerie fragte sich, ob sie wohl aufgehört hätten, wenn es so weit gewesen wäre, oder ob die Gier sie weitergetrieben hätte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Kurt, ich kann dich da raushalten. Niemand außer mir weiß bislang, dass du beteiligt warst.«
Vorsicht ersetzte die Resignation in Meisenbergs Zügen. »Du handelst sicher nicht aus Altruismus oder alter Freundschaft.«
»Nein«, gestand sie. »Ich möchte von dir wissen, wer Benders Kontakt in der Regierung ist.«
Meisenberg richtete sich in seinem Sessel auf. »Valerie, ich fürchte, du machst einen großen Fehler, wenn du glaubst, dich in die Angelegenheiten des BND einmischen zu können«, belehrte er sie. »Aus Erfahrung solltest du es besser wissen.«
Valerie hoffte nur, dass ihr Gesicht nicht ihre Überraschung verriet. »Ich habe nichts mit dem BND zu tun«, konterte sie, aber Meisenberg ließ sich nicht so leicht abfertigen.
»Du weißt genau, wovon ich rede.« Er zog seine Schreibtischschublade auf, nahm eine Schwarzweißfotografie heraus und schob sie ihr über den Schreibtisch hinweg zu. »Die Idee, ausgerechnet eins der Kanzleiappartements zu nutzen, war vielleicht nicht ganz so clever.«
Sie brauchte nur einen flüchtigen Blick auf die Aufnahme zu werfen. Sie war durch das Fenster hindurch fotografiert mit einem sehr guten Teleobjektiv. Das Bild war leicht körnig, aber es bestand kein Zweifel, wer der Mann und die Frau waren, die sich dort küssten. Sie atmete tief durch. »Wie hast du davon erfahren?«
Meisenberg schürzte die Lippen. »Es ist wohl weniger die Frage, wie ich davon erfahren habe, als was wir damit machen.«
Valerie dachte an Marc. Auch er hatte seine flüchtigen Affären gehabt. Sie hatten nie darüber gesprochen, es war nie etwas Ernstes gewesen. Aber sie bezweifelte, dass er ihr einen Seitensprung mit Eric Mayer verzeihen würde. Der BND -Agent stand seit anderthalb Jahren unausgesprochen zwischen ihnen.
Sie sah Meisenberg scharf an. »Ich lasse mich von dir nicht erpressen, Kurt.«
Er schüttelte amüsiert den Kopf. »Was für ein hässliches Wort, Valerie.«
»In der Tat.« Sie schob die Fotokopien zusammen, die sie ihm mitgebracht hatte.
Er legte ihr die Fotografie obenauf. »Vielleicht denkst du noch einmal darüber nach«, schlug er vor. »Ich warte auf deinen Anruf.« Seine Stimme hatte jenen sehr ruhigen Klang angenommen, den sie immer dann bekam, wenn ihm eine Situation zu entgleiten drohte.
»Nein«, widersprach Valerie. »Ich höre von dir.«
Sie war bei weitem nicht so gelassen, wie sie sich gab. Viel zu fest schlossen sich ihre Finger um die Mappe mit den Unterlagen in ihrer Hand, als sie wenig später unten auf der Straße stand und über die Alster blickte. Gerade mal eine Woche war vergangen, seit Meisenberg sie angerufen und um ihre Unterstützung bei der Larenz-Krise gebeten hatte. Sieben Tage, in denen ihr Leben eine unverhoffte und gefährliche Wendung genommen hatte. Es hatte keine Warnung gegeben. Das Unheil war aus heiterem Himmel hereingebrochen, und sie hatte selbst nicht gerade dazu beigetragen, es abzuwenden. Das Klingeln ihres Telefons schreckte sie aus ihren Gedanken. Es war nicht Meisenberg. Sondern Hilfe, die von völlig unerwarteter Seite kam.
***
Nordhessen, Deutschland
Siebenundzwanzig neue Mails.
Unschlüssig strich Katja mit den Fingern über die Tastatur ihres Laptops. Seit Tagen hatte sie ihr Postfach nicht geöffnet. Sie wollte nichts lesen, nichts hören von den Kameraden in Afghanistan. Sie hätte nie gedacht, dass sie den Staub vermissen würde, die schmalen Betten und die erdrückende Enge. Die schweren Stiefel, selbst die verhasste Splitterschutzweste, die sie in größter Hitze umschlossen hielt wie ein Panzer. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich eines Tages wünschen würde, noch einmal jenen Morgen, an dem sie aufgebrochen waren, um die Straßen für die Konvois zu sichern, in all seinen Details zu erleben. Die Zeit zurückzudrehen.
Immer und immer wieder analysierte sie die Szene und fragte sich, welche Richtung, welchen Ausgang dieser Tag, der so kalt und klar begonnen hatte,
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