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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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wie lange sie es noch ertragen konnte.

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    24. Mai
    Berlin, Deutschland
    A uch Gerwin Bender war müde, aber es war eher Überdruss, der ihn quälte, vor allem wenn er in das Gesicht seines Gegenübers blickte. Er spürte, dass er die Kontrolle verlor, dass sich etwas außerhalb seines Machtbereichs zusammenbraute, das er nicht steuern konnte. Es löste ein Gefühl in ihm aus, das er in der letzten Zeit viel zu häufig empfunden hatte: Angst.
    Er hätte es niemals zugegeben. Angst war in seinen Augen nichts anderes als ein Ausdruck von Schwäche, und er war nie in seinem Leben schwach gewesen. Er war bisweilen vom Weg abgekommen, hatte sich aber immer zurückgekämpft. Er würde es auch diesmal schaffen. Es würde Opfer erfordern, aber es gab für alles einen Preis. Für alles.
    »Ich fürchte, ich kann nichts tun«, sagte sein Gegenüber, ein junger Ministerialbeamter. »Der Minister hat alle weiteren Termine für den Nachmittag abgesagt und sich jede Störung verbeten.«
    Bender versuchte, seine Ungeduld zu zügeln. »Er ist nicht der Heilige Vater«, zischte er. »Und ich bin nicht ein x-beliebiger Lobbyist.«
    Der Mann wand sich. »Herr Bender, ich bin mir durchaus der Schwierigkeit der Situation bewusst.«
    »Dann tun Sie etwas.«
    In einem Vorzimmer zu warten, abgewiesen zu werden, war eine ganz neue Erfahrung für Gerwin Bender. Normalerweise standen die Türen offen, wenn er kam, warteten seine Gesprächspartner auf ihn, nicht er auf sie. Er blickte auf die Tür, hinter der der Minister residierte. Was ging dort vor sich? Der Mann war nicht allein. Bender war die klassischen fünf Minuten zu spät gekommen. Und das nur, weil ihn ein Journalist aufgehalten hatte. Einer von denen, die hier in der Hauptstadt um jede Geschichte, um jede noch so kleine Information buhlten. Bender hatte es sich zur Prämisse gemacht, sich der Presse gegenüber entgegenkommend zu zeigen. Das hatte viel zu seinem Ruf beigetragen und zahlte sich in Krisen immer aus. Natürlich stocherten sie, suchten sie, aber sie taten es nicht mit demselben Eifer wie bei jenen, die für sie ohnehin schon ein rotes Tuch darstellten. Die öffentliche Person Gerwin Bender genoss einen gewissen Schutz, eine gewisse Immunität gar, und er konnte dieses kostbare und hart erarbeitete Gut nicht leichtfertig aufgeben. Es hatte ihn vor dem kompletten Absturz gerettet.
    »Ich werde warten«, sagte er, knöpfte sein Sakko auf, nahm auf einem der Sessel Platz und schlug die Beine übereinander.
    Der junge Mann sah nervös auf. »Es könnte länger dauern.«
    Bender registrierte zufrieden, dass nicht mehr die Rede von »jede Störung verbeten« und »alle Termine für den Nachmittag abgesagt« war.
    »Wenn es länger dauert, bringen Sie mir am besten einen Kaffee«, bemerkte er gelassen und lehnte sich zurück.
    Der Anschlag auf den Verteidigungsminister hatte für große Aufregung in Berlin gesorgt, das Bekennerschreiben, in dem weitere Anschläge angedroht wurden. Es hieß, dass eine Soldatin dahintersteckte. Der Anschlag sei als Vergeltungsakt zu verstehen für die durch deutsche Waffen in Afghanistan getöteten Soldaten. Alle Tageszeitungen hatten dem Vorfall die ersten Seiten gewidmet und somit die Larenz-Krise wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gebracht. Die Frage nach den Verantwortlichen. Die Fernsehsender hatten Brennpunkte und Sondersendungen aus dem Boden gestampft. Bislang hielt das Konstrukt, das sie erschaffen hatten und in dessen Zentrum Milan Vieth und Eric Mayer als die Hauptschuldigen der Affäre standen. Er selbst war noch vor Ort dazu interviewt worden. Als die Regierungsmitglieder mit Hubschraubern ausgeflogen wurden, die auf einem nahe gelegenen Bundeswehrstützpunkt stationiert waren, hatte er einen Platz in der Maschine der Kanzlerin erhalten und war auf Wunsch des Kanzleramtschefs zunächst in Berlin geblieben. Bis in die Nacht hatten sie zusammengesessen und das Geschehen aufgearbeitet.
    Bender sah auf, als eine adrette Frau das Vorzimmer betrat und den Kaffee brachte. Ein Wasser wäre angesichts seines angeschlagenen Herzens vielleicht besser gewesen. Vielleicht machte es aber auch gar keinen Unterschied. Er nahm die Tasse, trank in kleinen Schlucken und blickte aus dem Fenster. Es war ein wolkenverhangener Tag. Regen perlte an den Scheiben ab. Er hatte gehofft, nach Hamburg zurückfahren zu können, doch dann hatte ihn Meisenbergs Anruf erreicht. »Eric Mayer ist auf dem Weg nach Berlin.«
    Natürlich beschäftigte Bender

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