Die Marionette
Mayer so und nicht anders reagiert hatte. Nicht anders hatte reagieren können.
Du kannst nicht alles haben im Leben.
Es war unabdingbar, schmerzhafte Erfahrungen bisweilen hinter sich zu lassen, um weitergehen zu können. Mayer hatte den Mut dazu gehabt. Katja Rittmer nicht, und so hatte sie letztlich alles verloren. Martinez fragte sich, ob sie jemals die Chance besessen hatte, es anders zu machen, oder ob ihr Weg vorgezeichnet war durch ihre Vita.
»Don …« Mayers Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Mit gerunzelter Stirn blickte sein deutscher Kollege auf seinen Blackberry und klappte dann seinen Laptop auf, ohne das Telefon aus der Hand zu legen. »Wir haben eine Nachricht von Katja.« Er drehte den Laptop zu Martinez um, der wortlos auf den Bildschirm starrte, auf die E-Mail, die Mayer dort geöffnet hatte. Sie war in der Tat von Katja Rittmer, geschickt an Mayers private Adresse. Endlich eine Nachricht. Endlich hatten sie etwas in der Hand. Das war aber auch das einzig Positive an den wenigen Zeilen, die sie geschrieben hatte.
***
Hamburg, Deutschland
»
Was
verlangt sie?«, Valerie hörte, wie ihre Stimme beinahe kippte.
Mayer wiederholte am anderen Ende der Leitung, was er eben schon gesagt hatte. »Katja will, dass der Verteidigungsminister binnen zweiundsiebzig Stunden zurücktritt, dass er öffentlich die Verantwortung für die schlechten Zustände bei der Bundeswehr in Afghanistan übernimmt und für den Tod der Soldaten. Sie droht, alle zwölf Stunden in einer anderen Stadt eine Bombe zu zünden, bis wir ihre Forderung erfüllt haben. Nach Ablauf der gesamten Frist wird sie Bender töten.« Er räusperte sich. »Und sie will dich als Kontaktperson.«
Valeries Hände umklammerten das Lenkrad ihres Wagens so fest, dass es schmerzte. »Ich kann das nicht«, flüsterte sie mehr zu sich selbst als in ihr Headset. Völlig automatisch setzte sie den Blinker und fuhr rechts ran. Ignorierte das Hupen der anderen Autofahrer und ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken. »Ich kann das nicht.«
»Valerie …«
»Versuch nicht, mich zu überreden!«
»Nichts liegt mir ferner. Bitte, hör mir zu.«
Er wollte sie nur informieren. Sie würden mit Katja in Verhandlungen treten, versuchen, Valerie rauszuhalten.
»Was ist, wenn sie das nicht akzeptiert?«
»Ich weiß es nicht.« Mayer klang müde. »Wir können dich nicht zwingen.«
»Kannst du ihre Mail an mich weiterleiten?« Sie musste sehen, was Katja geschrieben hatte. Schwarz auf weiß. Sich selbst ein Urteil bilden.
Er schickte ihr die Nachricht auf ihr Telefon. In der Anlage war ein Foto. Bender im Stil der RAF -Fotografien von Hanns-Martin Schleyer, in sich zusammengesunken vor einer schmutzigen Wand, die Augen geschlossen, ein Schild auf seiner Brust:
»Ich bin ein Mörder.«
»Werden wir das morgen in allen Zeitungen sehen?«, fragte sie.
»Davon sollten wir ausgehen«, erwiderte Mayer. »Warum sonst sollte sie es gemacht haben.«
Valerie dachte an Juliane. »Das ist entsetzlich«, sagte sie leise.
Wieder räusperte sich Mayer. »Ich will dich nicht drängen, Valerie, aber falls du dich entschließen solltest, die Aufgabe zu übernehmen, brauchen wir dich in Berlin. Selbstverständlich übernehmen wir alle Kosten.«
Valerie schluckte, warf einen Blick auf die Uhr auf dem Armaturenbrett. Es war fast Mittag. Sie bat ihn um ein paar Stunden Bedenkzeit.
Sie saß noch eine ganze Weile reglos in ihrem Wagen, nachdem sie aufgelegt hatte. Das Bild von Bender ging ihr nicht aus dem Kopf. Schließlich griff sie zu ihrem Telefon. Sie hatte Katjas Mobilnummer abgespeichert. Es war einen Versuch wert.
Warum ich?,
tippte sie und schickte die SMS ab. Ein Schuss ins Blaue. Überraschenderweise erhielt sie sofort eine Antwort.
Sie sind die Einzige, der ich vertraue.
Valerie starrte auf das Display. Hatte Katja wirklich ihr Telefon eingeschaltet und riskierte so, geortet zu werden? Sie wollte Mayer anrufen, bremste sich aber im letzten Moment.
Sie sind die Einzige, der ich vertraue.
Sollte sie dieses Vertrauen so schnell missbrauchen? Sie dachte daran, was Mayer gesagt hatte. Alle zwölf Stunden eine Bombe in einer anderen Stadt. Innerhalb von zweiundsiebzig Stunden waren das sechs Bomben in sechs Städten. Valerie atmete tief durch.
Eric war überrascht, so schnell wieder von ihr zu hören. »Katjas Handy ist ausgeschaltet, wir überprüfen das ständig«, erklärte er ihr auf ihre Frage. »Sie kann Nachrichten vermutlich über das Internet abrufen.«
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