Die Marionette
Nach einer kurzen Pause fragte er: »Warum?«
»Ich habe ihr eine SMS geschickt.«
»Und sie hat geantwortet?«
»Sofort.«
Einen Moment hörte sie nichts und dachte schon, die Verbindung wäre unterbrochen. »Valerie, wir brauchen dich«, sagte Eric schließlich.
Zweiundsiebzig Stunden. Drei Tage. Sie würde es nicht für Bender tun, sondern für Katja. Vielleicht gelang es ihr, die Soldatin von ihrem weiteren Vorhaben abzubringen und damit auch die strafrechtlichen Konsequenzen zu minimieren.
»Katja ist meine Mandantin«, erklärte sie gegenüber Meisenberg wenig später in der Kanzlei. Sie hatte ihn gebeten, sie bei einem Gerichtstermin zu vertreten, doch er hatte sich geweigert: »Du weißt, dass ich das nicht gern mache.«
»Du bist mit dem Thema ebenso vertraut wie ich und kennst die Mandanten genauso gut«, hatte sie erwidert und sich gleichzeitig gefragt, wie sie sein Zögern bewerten sollte.
»Es wird deine Ehe ruinieren«, bemerkte er, während er ihr zusah, wie sie ihre Sachen zusammenpackte.
Sie hielt inne. »Dafür hast du doch schon gesorgt«, sagte sie schärfer als beabsichtigt.
Meisenberg seufzte. »Es tut mir leid, Valerie.«
»Ein wenig spät, meinst du nicht?«
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich habe Fehler gemacht, und wie so oft zieht ein Fehler zwangsläufig andere nach sich.« Er wirkte ehrlich bedrückt, aber sie glaubte ihm nicht. Ihm, dem sie immer blind vertraut hatte. Der Schmerz, den dieses Bewusstsein auslöste, traf sie unerwartet, und sie verbarg ihn hinter einer spöttischen Miene. »Du erwartest jetzt aber kein Mitleid?«
Er erwiderte ihren Blick mit einem ungewohnt müden Lächeln. »Das, meine Liebe, wäre vermutlich zu viel der Ehre.« Als sie wenig später aufbrechen wollte, hielt er sie zurück. »Pass auf dich auf«, sagte er leise und versprach ihr, den Termin vor Gericht zu übernehmen.
Sie hatte noch immer einen Kloß im Hals, als sie in der Tiefgarage in ihren Wagen stieg. Ihr war, als sei gerade eine lange, erfolgreiche Phase ihres Lebens zu Ende gegangen. Als hörte sie den Vorhang hinter sich fallen. Vombrook hatte sie gefragt, ob sie tatsächlich weiter mit Meisenberg zusammenarbeiten wollte – nach allem, was vorgefallen war. Sie hatte gehofft, dass sie nach wie vor mehr verband als trennte. Und während sie noch darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass diese Frage auch für Marc und sie galt. Es war verlockend, Meisenberg für die Probleme in ihrer Ehe verantwortlich zu machen, doch sie war noch nie gut im Selbstbetrug gewesen.
Marc zeigte wenig Verständnis für ihre Entscheidung, nach Berlin zu fahren. »Das ist nicht dein Ernst?!«, entfuhr es ihm, als sie ihn anrief. Seit Benders Entführung herrschte Waffenstillstand. Jeder von ihnen gab sich die größtmögliche Mühe, den anderen nicht zu verletzen. Sie vermieden jeglichen Streit. Sie suchten beide aber auch nicht die Nähe des anderen.
»Du könntest mitkommen«, schlug Valerie vor.
»Du weißt, dass das nicht möglich ist«, erwiderte er. Sie runzelte die Stirn. War es das wirklich nicht? Noch vor wenigen Tagen hätte sie mit ihm darüber diskutiert. Jetzt schwieg sie.
Nur anderthalb Stunden später saß sie im ICE . Als sie aus dem Fenster auf die vorbeifliegende Landschaft blickte, dachte sie daran, dass Marc damals nach Berlin gefahren war, um für sie im Bundeskanzleramt um Hilfe zu ersuchen. Er hatte nichts unversucht gelassen, auch wenn er, und das hatte er ihr beschämt eingestanden, bisweilen an ihrer Unschuld gezweifelt hatte. So wie Sibylle begonnen hatte, an der Integrität ihres Mannes zu zweifeln.
Milan ist nicht mehr da, weißt du. Er kann nichts dazu sagen. Zu all den Anschuldigungen …
Marc war ebenso allein und verunsichert gewesen, dennoch hatte er sie nicht fallenlassen.
Valerie lehnte den Kopf gegen die Lehne ihres Sitzes. Irgendwo im Abteil klingelte ein Handy. Ein Kind nörgelte. Der Zug rauschte durch weite grüne Wiesen. Was würde sie in Berlin erwarten? Sie hatte keine Vorstellung, wie ein Krisenstab in einer solchen Situation arbeitete. Wer alles dazugehörte. Mayer hatte unendlich erleichtert geklungen, als sie ihm ihr Kommen mitgeteilt hatte. Er hatte versprochen, dass jemand sie am Bahnhof abholen würde. Sie rechnete nicht damit, dass er selbst kam.
Tatsächlich war es Florian Wetzel, der auf dem Bahnsteig im Berliner Hauptbahnhof wartete. Er lächelte, als er sie erblickte, und nahm ihre Tasche. »Ich freue mich wirklich,
Weitere Kostenlose Bücher