Die Marionette
Katja zu erfahren, und er fragte sich, wie viel Chris davon gewusst hatte. »Hat Katja Kontakt zur Familie von Christian Frank gehabt? Hat das jemand überprüft?«
»Wir haben einen Beamten hingeschickt«, warf Schavan ein, »Seine Verwandten haben Katja kaum gekannt.«
Chris stammte aus einer gutsituierten und sehr liberal denkenden Familie, die es nie verstanden hatte, dass er zur Bundeswehr und noch dazu zum KSK gegangen war. Der Kontakt hatte sich danach reduziert. Er und Chris hatten sich oft darüber unterhalten. »Ich weiß einfach nicht, worüber ich mit ihnen reden soll, wenn ich sie besuche«, hatte er einmal zu Mayer gesagt, der wusste, wovon sein Freund sprach. Er vertrieb die Erinnerung. Darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.
Es war ausgerechnet Martinez, der das Thema noch einmal aufgriff, als sie wenig später allein waren. »Du bist also nicht der Einzige mit einer Leiche im Keller«, bemerkte er spöttisch.
»Haben wir die nicht alle?«, erwiderte Mayer ausweichend.
Martinez ließ nicht locker. »Wann hast du deinen Sohn das letzte Mal gesehen?«
»Don, bitte …«
Martinez ignorierte die Gereiztheit in Mayers Stimme. »Wann?«, hakte er nach.
Mayer seufzte. »Vor zwölf Jahren«, gestand er, hauptsächlich um Ruhe zu haben. »Er war zwei, als ich weggegangen bin. Er weiß heute nicht einmal, dass ich sein Vater bin, und ich möchte auch, dass das so bleibt.« Vor ihm lag die Spree glitzernd im Sonnenlicht, dahinter breitete sich die Stadt aus. Doch Mayer sah das alles nicht. Sein Sohn hatte auf dem Rasen hinter ihrem Haus gesessen und mit seinen kurzen, dicken Kinderfingern nach den ersten Gänseblümchen gegriffen. »Ich werde nach diesem Einsatz nicht wieder zurückkommen«, hatte Mayer seiner Frau damals gesagt, ohne den Blick von seinem kleinen Jungen zu wenden. »Er wird sich nicht an mich erinnern.« Seine Frau hatte nur genickt, sie hatte es geahnt, dagegen angekämpft, aber ihre Kraft hatte nicht gereicht. Mayer presste die Lippen zusammen. Nicht einmal Martinez würde er eingestehen, dass er seither immer wieder hingefahren war und aus der Entfernung das Haus betrachtet hatte, in dem sie noch immer lebten. Seine Frau hatte wieder geheiratet, und das war gut so. Sein Sohn hatte Geschwister. Sie wirkte jetzt glücklich, glücklicher als sie mit ihm je gewesen war. Die seltenen, heimlichen Besuche hatten ihm Einblicke gegeben in ein Leben, das er selbst hätte führen können. Er hatte sich damals dagegen entschieden. Hatte nicht anders gekonnt.
Ich weiß einfach nicht, worüber ich mit ihnen reden soll.
Chris’ Worte. Sie hatten auch seine Situation getroffen. Er hatte diese Frau geliebt – und sie verlassen, als er begriff, was er damit anrichtete. Er sah Martinez an. »Du kannst nicht alles haben im Leben.«
***
Berlin, Deutschland
Mayers Worte wirkten nach. Als sie ihre Arbeit wieder aufnahmen, erinnerte Martinez sich, wie er seinen deutschen Freund kennengelernt hatte. Es war kurz nach dessen Scheidung gewesen. Mayer war schon damals nicht der Mann gewesen, der viel von sich preisgab. Viele Jahre später erst hatte Martinez erfahren, dass Mayer verheiratet gewesen war. Während eines Trainingsaufenthaltes in den USA hatte sein deutscher Kollege Besuch von seinem Vater bekommen. Unfreiwillig war Martinez Zeuge eines Streites zwischen den beiden geworden. Der alte Mann hatte Mayer vorgeworfen, sich nicht um seine Familie, seine Frau und sein Kind zu kümmern.
»Ich bin geschieden«, hatte Mayer geantwortet. »Und ich bezahle jeden Monat Unterhalt. Mehr kannst du nicht verlangen.«
»Du weißt, dass ich das nicht meine«, hatte sein Vater erwidert.
Martinez erinnerte sich an die lange, unangenehme Stille, die diesen Worten gefolgt war.
Mayer hatte den Streit dann unschön beendet, indem er gesagt hatte: »Ich werde dich jetzt in dein Hotel bringen. Ich denke, es ist besser, wenn wir uns nicht wiedersehen.«
Martinez hatte ihm bei seiner Rückkehr Vorhaltungen wegen seines Verhaltens gemacht: »Dein Vater ist ein paar tausend Meilen geflogen, um dich zu sehen. Du kannst ihn nicht einfach wegschicken, Mayer.«
»Ich habe ihn nicht eingeladen zu kommen«, hatte sein deutscher Freund erwidert, und als Martinez noch etwas sagen wollte, war ausgerechnet Eric Mayer ihm fast an die Gurgel gegangen. »Halt dich verdammt noch mal aus meinen Angelegenheiten raus!«, hatte er ihn angeschrien. Es hatte noch ein paar weitere Jahre gedauert, bis Martinez endlich erfuhr, warum
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