Die Marketenderin
nicht übel, denn sie verstand, daß er Angst hatte, ihr würde etwas Dummes entrutschen. Natürlich war ihr klar, daß sie noch viel lernen mußte, um sich sicher auf dem Parkett der Mächtigen zu bewegen. Daß Georg bei seinem Befehl weniger an den Inhalt ihrer Worte, sondern an den sehr bäuerlichen Tonfall gedacht hatte, wußte sie nicht. Aber der Herr Oberleutnant lächelte sie so freundlich an, daß ihr ganz warm ums Herz wurde.
»Setzt euch mal da drüben in den Salon«, wies er auf eine Flügeltür. »Ich habe noch eine Besprechung, aber die ist beinahe vorbei.«
In diesem Augenblick trat der Oberst mit der schrillen Stimme in den Flur. Ein Leuchten ging über sein Gesicht, als er Clärle sah.
»Das nenne ich aber einen hübschen Anblick!« rief er. »Gerter, Sie müssen die junge Dame unbedingt zum nächsten Ball einladen und vielleicht hat sie ja noch ein paar Freundinnen. Es ist wirklich beklagenswert, wie wenig schöne Frauen unsere Feste zieren! Da hatten es die Griechen in Troja besser.«
Georg schwoll der Kamm. Alles ließ sich viel erfreulicher an, als er erwartet hatte. Sein Onkel hatte ihn zwar etwas verhalten, aber nicht unfreundlich begrüßt, und Clärle hinterließ offensichtlich einen durchschlagenden Eindruck. Als ihm dann auch noch Clärles Bemerkung einfiel, daß die Assenheimerin hier als Dienerin arbeitete, war er vollends glücklich.
»Jeder kriegt schließlich doch den Platz, der ihm zusteht«, murmelte er, als er mit Clärle in den elegant möblierten Salon stolzierte.
Nach und nach verabschiedeten sich die Offiziere von Gerter, nur Oberst von Röder blieb noch sitzen.
»Ich bleibe heute nacht hier«, entschied er. »Morgen früh muß ich doch gleich wieder in den Kreml, da lohnt es sich nicht mehr, in die Vorstadt zu fahren.«
Johannes klingelte nach Juliane und bat sie, den Kamin im Zimmer des Obersten zu heizen. Bei seiner ersten Übernachtung im Palast hatte Oberst von Röder ausdrücklich um ein Zimmer ohne Blick auf den Kreml gebeten und Juliane hatte ihm den schönsten Raum oberhalb der Küche gegeben.
»Dann ist das Wasser noch heiß, wenn ich es Ihnen aufs Zimmer bringe«, hatte sie zu ihm gesagt. Sie fragte jetzt, ob sie ihm Waschwasser bringen solle.
»Eine gute Idee«, sagte der Oberst, stand auf und streckte sich. »Morgen ist ein langer Tag. Marschall Ney wird versuchen, Napoleon vom Rückzug zu überzeugen. Aber ich habe meine Zweifel, ob es ihm gelingen wird.«
Er verabschiedete sich von Gerter und zog sich in sein Zimmer zurück.
Mössner war sehr enttäuscht, daß auf Gerters Klingeln nicht die Assenheimerin, sondern eine dicke, etwas mürrisch aussehende Russin den Wein brachte.
»Sind Korporal Schreiber und seine Frau auch hier?« fragte er seinen Onkel. »Muß der Korporal nicht in der Vorstadt bei seinen Männern sein?«
»Er ist bei der Schlacht um Smolensk verwundet worden«, erwiderte Gerter und Mössner verstand nicht, weshalb der Onkel geradezu mißbilligend auf die Auszeichnungen an seiner Brust blickte.
»Ich war heute im Theater«, sagte er hastig, hoffend, daß sich Gerter von seinem Interesse an Kultur beeindruckt zeigen würde.
»Deswegen habe ich die Ehrenzeichen angesteckt. Das tut man doch, oder nicht?«
»Man tut vieles«, sagte Gerter langsam. »Zum Beispiel einen Offizier auf Gewehren über den Dnjepr befördern und dabei einen kleinen Jungen ertrinken lassen.«
Das war es also. Mössner stieg das Blut ins Gesicht. Jedem anderen hätte er ohne zu zögern scharf geantwortet, aber mit Johannes durfte er es sich nicht verderben.
»Sie hätten an meiner Stelle nichts anderes getan, Herr Oberleutnant«, sagte er steif.
Clärle blickte von einem zum anderen, verstand nicht, was vorging, nur, daß der Oberleutnant offenbar doch nicht so nett war, wie sie eben noch geglaubt hatte.
Gerter sprang auf, packte Mössner am Kragen und schüttelte ihn. »Ach nein?« schrie er.
»Ich konnte den Jungen doch gar nicht sehen …«, stotterte Mössner, »da war so ein Durcheinander …«
Gerter hörte auf ihn zu schütteln, ließ ihn aber nicht los, sondern sagte etwas so Seltsames, daß Georg erst glaubte, nicht richtig gehört zu haben: »Ich kann dir nicht vergeben und will es auch nicht. Aber wenn mir zu Ohren kommt, daß die Assenheimerin erfahren hat, wie Jakob gestorben ist, dann schneide ich dir eigenhändig die Kehle durch!«
»Es ist vielleicht besser, wenn wir wieder gehen«, meldete sich Clärle mit hochrotem Kopf und versuchte
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