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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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durchgehen.
    Im Palast tagten unterdessen Offiziere der württembergischen Division und beratschlagten, wie man Napoleon und seine Generäle davon überzeugen könnte, Moskau so schnell wie möglich zu verlassen. Es sei zwar für Anfang Oktober außerordentlich mild, sagte ein Major, der Rußland von früheren Besuchen her kannte, aber der russische Winter, der erheblich grimmiger sein konnte als die kalten Tage, die sie im Frühjahr erlebt hatten, stehe vor der Tür. Man einigte sich darauf, daß es das beste sei, sich eilig hinter den Dnjepr zurückzuziehen.
    »Unsere Armee hat nur noch ein Drittel der ursprünglichen Größe«, stellte Oberst von Röder fest. »Hinter dem Dnjepr haben wir gefüllte Magazine, die uns über den Winter bringen können.«
    Auf die Bemerkung eines Oberleutnants, warum man denn nicht einfach in der Stadt bliebe und warte, bis es Frühling werde, sagte von Röder trocken: »Welche Stadt? Seht ihr eine? Ich sehe Schutt und Asche, eine Trümmerwüste, in der langsam die Lebensmittel ausgehen. Und im Kreml sitzen Herren, die sich der Lage nicht bewußt sind. Sonst hätten sie doch nicht dem Heer den Befehl erteilt, sich für zwanzig Tage mit Brot zu versorgen – wo es gar kein Mehl gibt! Wir sind von allen Hilfsquellen weit entfernt und der Feind bedroht uns nicht nur im Rücken, sondern von allen Seiten!«
    Hinter der Flügeltür des Herrenzimmers saß Juliane auf einem Stühlchen und spitzte die Ohren. Ihre Hilfe war in der Küche nicht erforderlich, da alles für das inzwischen abgesagte Fest vorbereitet gewesen war und Marja und Pjotr den Offizieren die Speisen vorsetzten.
    Juliane balancierte ihre Handschrift auf den Knien und nahm zu Protokoll, was sie aufschnappen und verstehen konnte.
    »Napoleon kann nicht über das Wetter gebieten«, schrieb sie auf und fügte hinzu: »Er wird mit offenen Augen ins Verderben rennen. Auch große Geister können sich empfindlich in der Berechnung ihrer angeblich unfehlbaren Entwürfe irren.«
    Ein Name fiel, den sie noch nie gehört hatte, und sie nahm sich vor, Johannes später nach der Schreibweise zu befragen. Er wußte, daß sie das Grüppchen belauschte, denn er hatte ihr beruhigend zugenickt, als er an ihr vorbei in sein Zimmer gegangen war, um einige Unterlagen zu holen. Sie schrieb den Namen phonetisch auf: »Wie Zäsar verläßt sich Napoleon auf sein Glück.«
    »Assenheimerin«, sagte Johannes etwas verloren, als er wieder an ihr vorbeikam. »Wir alle machen Fehler, nicht nur Napoleon. Urteile gnädig und verzeih dem Irrenden.«
    Diese Worte hallten lange in ihr nach, taten ihr so weh, daß sie der Diskussion nicht mehr folgen konnte. Die Stimmen der Offiziere drangen erst zu ihr durch, als sie mit einem Mal sehr heftig wurden. Ein Offizier, der offensichtlich nicht in Moskau, sondern vor der Stadt lagerte, sprach erregt auf die Anwesenden ein: »Meine Herren, es darf nicht länger gewartet werden. Wir müssen sofort los. Wollen Sie wissen, wie es um die Stadt herum aussieht? Dann hören Sie gut zu: Die Soldaten leiden Mangel, erhalten nicht genug zu essen aus der Stadt, es fehlt vor allem an Brot und frischem Fleisch. Aber die Pferde sind das größte Problem! Es gibt kein Futter, hören Sie, überhaupt keins! Also schicken wir jeden Tag stark bewaffnete Haufen ins Land hinein, um Futter zu suchen. Manchmal sind die Männer zwei Tage unterwegs und fast immer fallen sie in gefährliche Hinterhalte der Kosaken.«
    »Die sind nicht mal die Schlimmsten«, unterbrach eine Stimme, die Juliane Hauptmann von Klapp zuordnete.
    »Richtig, die Schlimmsten sind die bewaffneten Bauern! Sie lauern auf Rache und um jede Hand voll schlechtes Heu oder Stroh wird erbittert gekämpft. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, wie viele Männer wir auf diese Weise schon verloren haben, nur daß diese Kämpfe das Heer um Moskau erheblich geschwächt haben.«
    »Ich habe gehört, wie sich der König von Neapel bei General Nansouty über die Pferde beklagt hat«, hörte Juliane eine hochdeutsche Stimme. »Wissen Sie, was Nansouty dem König gesagt hat: ›Sire, dies kommt daher, daß die Pferde kein Ehrgefühl besitzen – unsere Soldaten schlagen sich schon lange brav ohne Brot, aber die Pferde tun nichts ohne Hafer.‹«
    Gequältes Lachen folgte diesen Worten, danach erklärten mehrere Stimmen: »Also Rückzug.«
    »Und zwar schnellstens!« fuhr Hauptmann von Klapp fort. »Obwohl ich nicht einmal weiß, wie wir den bewerkstelligen können. Die Pferde können

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