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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Mutter unmöglich vergessen haben –, aber es wäre ihm bestimmt unangenehm. Ein Oberst, dessen mit einem Korporal verheiratete Tochter als Marketenderin arbeitete und in Moskau Offiziere bediente. Er könnte denken, daß sie von ihm etwas erwartete. Geld oder eine bessere gesellschaftliche Stellung.
    Wollte sie das überhaupt? Nein. Geld hatte sie selbst genug, sie dachte an ihre so gut versteckte Goldpuppe und sie fühlte sich sehr wohl als Marketenderin. Ihr fiel Clärle ein. Als Dame verkleidet hatte sie zwar sehr hübsch, aber auch ein kleines bißchen lächerlich ausgesehen. Juliane hatte feine Damen noch nie um ihre Stellung beneidet, sondern sie immer ein wenig bedauernswert gefunden. Sie waren so an Formen, Manieren und andere Äußerlichkeiten gebunden, mußten Kleider tragen, die sie einengten, durften sich weder von der Sonne das Gesicht wärmen lassen noch sagen, was sie wirklich dachten. Sie konnten Klavier spielen, hübsche Deckchen besticken und in vielen Sprachen geschickt über nichts reden, aber sie durften es sich nicht anmerken lassen, wenn sie wütend wurden.
    Als anerkannte Tochter von Oberst von Röder würde sie vielleicht lernen müssen, mit kleinen Schrittchen zu trippeln, in Ohnmacht zu fallen, wenn man in ihrer Gegenwart fluchte und im Damensattel zu reiten. Nichts davon reizte sie im geringsten.
    Wer hat also etwas davon, wenn ich mich meinem Vater zu erkennen gebe, fragte sie sich noch einmal, welchen Wert hat diese Information? Langsam setzte sie sich wieder aufs Bett. Wie würde ein Politiker dieses Problem lösen? Das konnte sie Matthäus fragen.
    »Stell dir vor«, sagte sie später in der Küche zu ihm, »du weißt etwas, was kein anderer weiß, was aber sehr wichtig für … für dein eigenes Leben ist, vielleicht auch für andere, aber vielleicht könnte es sie in eine unbequeme Lage bringen.«
    »Was weißt du denn, Liebes?« fragte er.
    »Nichts Besonderes. Ich frage nur – in der Theorie«, wandte sie eines der neu gelernten Wörter an.
    »Deine Frage verstehe ich nicht, da müßte ich schon mehr Informationen haben«, meinte Matthäus.
    »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«, kam es plötzlich von Felix, der von den anderen unbemerkt auf einem Stuhl in einer dunklen Ecke saß.
    Juliane sah ihn scharf an. Du weißt sicher eine Menge Dinge, die uns heiß machen würden, ging ihr wieder durch den Kopf. Felix kam ihr seit seiner Tour mit ihrem Wagen noch unheimlicher vor als früher. Sie hatte ihm das russische Bauernhemd gegeben und er hatte es ohne ein Wort entgegengenommen. Aber vielleicht wußte er eine Antwort.
    »Zum Beispiel Napoleon«, sagte sie unvermittelt. »Vielleicht weiß er, daß unsere Lage jetzt ziemlich hoffnungslos ist …«
    »Aber mein Mädchen!«
    »Ist ja nur ein Beispiel. Nehmen wir ein anderes. Vielleicht weiß Oberst von Röder, daß direkt hinter Moskau Millionen von Russen nur darauf warten, uns anzufallen.«
    »Millionen von Russen!« schnaubte Felix.
    »Auch nur ein Beispiel. Was soll er den Soldaten sagen?«
    »Wie der Feind aufgestellt ist, welche Flanken …«, begann Matthäus.
    »Unsinn«, unterbrach Felix. »Bei Millionen von Russen ist das ganz egal. Wenn wir nicht hier bleiben können, müssen wir fliehen und können nur hoffen, daß so viele wie möglich durchkommen. Eine Mitteilung hat nur dann Sinn, wenn man mit ihr etwas anfangen kann. Der Oberst hält also am besten den Mund.«
    Innerlich verfluchte Georg Mössner seinen Onkel. Wie hatte er es wagen können, ihn so zu beschimpfen! Noch dazu vor Clärle. Während sie in der Kutsche saßen, die sie zum Steinhaus bringen sollte, sah er das Mädchen von der Seite an.
    Clärle plapperte ohne Pause, war so geschmeichelt von den Nettigkeiten, die ihr an diesem Abend gesagt worden waren, daß sie wohl gar nicht gemerkt hatte, wie er gedemütigt worden war. Ihre Eitelkeit ist größer als ihr Verstand, dachte er erleichtert.
    Sie war hingerissen von Georgs eindrucksvollem Stadthaus. Stolz zeigte er ihr die Kreideschrift an der Fassade.
    »GM – Georg Mössner«, nickte sie und konnte es nicht erwarten, alle Zimmer zu inspizieren. Es sei alles viel vornehmer als bei der Leipziger Familie, wo sie kurz gedient hatte, versicherte sie und stimmte ihm zu, daß sein Lieblingszimmer ganz mit weißem Stoff bespannt und mit einem Klavier in der Mitte versehen werden sollte. Sie schlug ihm vor, ein Porträt von sich anfertigen zu lassen und an die Wand zu hängen. Der Gedanke gefiel Georg

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