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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Ziel aller Wünsche, und am 7. Dezember, als Juliane noch mit Dr. Müller unterwegs war, schlossen sich Johannes und seine Gefährten einem Trupp an, der den Weg in die französisch besetzte Stadt vor der Grenze einschlug. Gegen Abend erreichten sie Osmiana, aber da sie alle Häuser der halb abgebrannten Stadt besetzt fanden, waren sie gezwungen weiterzumarschieren. Inzwischen hatte das Quecksilber den Tiefpunkt von minus 30 Grad erreicht und bei dieser grimmigen Kälte war an ein Nachtlager unter freiem Himmel nicht zu denken. Wieder einmal war es Felix zu danken, daß sie abseits der Hauptstraße eine mit Heu gefüllte Scheune fanden, in der sie die Nacht verbringen konnten.
    Schweigend nahmen sie am nächsten Tag den Marsch in der Hoffnung wieder auf, bis zum Abend Wilna zu erreichen. Aber Hunger, Schnee und Kälte ließen sie nur langsam vorankommen und als die Dämmerung einbrach, begann wieder die verzweifelte Suche nach einem Obdach. Gerter, Eugen von Röder und Felix, die seit Smorgonie nichts Genießbares gegessen hatten, steuerten halb verhungert ein Dorf an, fanden aber jedes Haus und jede Scheune bereits überfüllt und wurden an allen Türen unerbittlich abgewiesen.
    Ratlos standen sie vor dem letzten Haus des Dorfes und blickten durch die offene Tür auf eine geräumige Vorhalle.
    »Kommt!« rief Felix eilig, als eine Gruppe italienischer Soldaten laut singend an ihnen vorbeimarschierte und auf das Haus zusteuerte. Es gelang ihnen, sich zwischen den Männern ins Haus zu schmuggeln. Die schlechte Luft in der inneren Stube nahm ihnen zunächst den Atem. Mindestens fünfzig Männer füllten den Raum, so daß nicht alle liegend ausruhen konnten, sondern sich viele an die Wände gekauert hatten. Französische, westfälische und italienische höhere Offiziere besetzten die Bänke und Gerter stieß Eugen von Röder an, der neben ihm stand.
    »Du gehörst zur besseren Gesellschaft«, flüsterte er ihm zu, »dir müssen sie Platz machen.«
    Aber Eugen von Röder schüttelte den Kopf.
    »Es ist zu gefährlich hier«, flüsterte er und wies in die Vorhalle. Unter dem stark hervorragenden niederen Strohdach unterhielten die Diener der Offiziere ein starkes Feuer und bewachten die gesattelten Pferde, die daneben angebunden waren.
    Felix schob sich zu den anderen Dienern durch und warnte sie, daß die hoch lodernden Flammen das Strohdach in Brand setzen und sie alle verbrennen könnten. Doch die Burschen lachten ihn aus und gaben dem Feuer mehr Nahrung.
    Felix bedeutete seinen Gefährten ihm zu folgen und fand am Türpfosten nahe dem Ausgang ein kleines Fleckchen, auf dem sie aneinander gekauert übernachten konnten.
    Rauch und das Knistern von Flammen riß Gerter aus dem Halbschlaf. Felix und Eugen von Röder erwachten, als er aufsprang. Entsetzt sahen sie, daß das Dach in Flammen stand.
    »Feu, feu, sauve qui peut!« brüllte Johannes so laut er konnte und rannte mit seinen Freunden aus dem Haus, als die Vorhalle mit dem Dach einstürzte und den anderen Schlafenden den Weg nach draußen versperrte. Jetzt stand das ganze Haus in Flammen, brach in kurzer Zeit zusammen und gab den Blick auf viele verbrannte Körper im Hintergrund frei.
    Stumm sahen sich die drei Geretteten an und setzten ihren Weg auf der Heerstraße fort.
    »Ich sah mich fliehn in einer dunkeln Nacht und eine lohe Flamme sah ich steigen in schwarzem Nachtgraun, als ich rückwärts sah«, sagte er sich auf, hoffend, daß Schillers Worte ihn vor dem Wahnsinnigwerden schützen konnten. Wie ging es noch weiter? Natürlich: »Ein uralt frühes Denken mußt es sein! Denn was vorherging, was darauf gefolgt, war ausgelöscht in langer Zeitenferne; nur abgerissen, einsam leuchtend stand dies Schreckensbild mir im Gedächtnis dar …«
    Es war zwei Uhr morgens und im Laufe der nächsten Stunden gesellten sich weitere gespensterähnliche Gestalten zu ihnen, die aus den benachbarten zerstörten Dörfern kamen. Die Straße wurde immer voller, wieder begann ein Gedränge und Geschubse.
    Felix war nicht der einzige, der um neun Uhr mit schwankendem Gang auf das Stadttor von Wilna zustrebte. Auch Gerter und von Röder konnten sich kaum noch auf den Beinen halten und wären vor Erschöpfung umgefallen, wenn sie sich nicht mitten in der drängelnden Masse befunden hätten, die vor dem Tor mit dem eng gemauerten Eingang tobte und wogte, als ginge es durch die Pforte zum Paradies. »Wie an der Beresina!« rief Gerter entsetzt. Es wurde gedrückt, getreten, gestoßen

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