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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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sie eintreten.
    »Danke, danke«, keuchte Juliane und stützte sich an den Wänden des schmalen Hausflurs ab. Matka ging ihr voraus in die Backstube, die gleichzeitig Wohnkammer war, nahm bunt gemusterte Kissen von einer Bank und bedeutete Juliane sich dort hinzusetzen. Sie schlurfte zum Herd und kam mit einem heißen Getränk und einem Stück Brot zurück. Während Juliane heißhungrig ins Brot biß und sich an dem starken süßen Tee die Zunge verbrannte, füllte die Alte einen Waschzuber mit warmem Wasser, verließ das Zimmer und kam mit einem Kittel zurück, den sie über den Schemel neben dem Waschzuber legte. Sie bedeutete ihr sich auszuziehen und nachdem Juliane den stummen Anweisungen gefolgt war, griff die Alte zu einer langen eisernen Zange und stopfte die zerschlissenen Kleidungsstücke in den Ofen. Irgendwas fiel dabei zu Boden, aber Juliane konnte nicht erkennen, was es war.
    Da ihre Gastgeberin immer noch kein Wort gesprochen hatte, wagte auch Juliane nicht den Mund zu öffnen. Träume ich, fragte sie sich, habe ich wieder Fieber? Konnte es denn wirklich wahr sein, daß sie nach stundenlangem Herumirren durch die kalte Stadt ausgerechnet bei der mürrischen alten Matka Zuflucht gefunden hatte? Es erschien ihr so unwirklich, daß sie zusammenschrak, als die Alte plötzlich das Wort an sie richtete. Ihre Frage war so seltsam, daß Juliane nicht antwortete, weil sie glaubte, sich verhört zu haben.
    »Nun, hat Felix dich geschickt?« wiederholte die alte Matka ungeduldig.
    Der Name drang zu ihr durch. Natürlich, Felix. Felix war Johannes' Diener, Johannes war der Mann, den sie liebte und mit dem sie Matthäus betrogen hatte, und Matthäus war tot. Matthäus war der Vater ihres Kindes – und er war tot, weil sie ihn ins Wasser gestoßen hatte. Die alte Selma hatte sie gewarnt, aber sie hatte ihren Rat in den Wind geschlagen. Sie war schuld daran, daß ihr Kind – so wie sie selbst – ohne Vater aufwachsen würde. Aus Angst vor der Aufdeckung ihrer Lügen, aus falschem Stolz hatte sie ihrem Kind auch den Großvater genommen. Hätte sie sich Eugen von Röder zu erkennen gegeben, wäre die Zukunft ihres Kindes gesichert gewesen, davon war sie überzeugt.
    Seitdem sie aus ihren Fieberträumen erwacht war, hatte sie nicht ein einziges Mal an Vergangenes gedacht, ihr ganzes Sein hatte sich auf den Augenblick konzentriert, ausschließlich auf den Gedanken, daß sie überleben mußte, weil sie ein Kind im Leibe trug. Jetzt schoben sich die Bilder mit solcher Kraft in ihren Kopf, daß sie sie nicht mehr verdrängen konnte. Sie stieß einen Schrei aus und sackte laut schluchzend im Waschzuber zusammen, wünschend, das warme Wasser wäre tief genug, um ganz darin zu versinken.
    Als sie am nächsten Morgen in einem warmen weichen Bett aufwachte, wußte sie im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Erst als sie das Schlurfen von Matkas Pantoffeln hörte und frisches Brot roch, fiel ihr der gestrige Tag wieder ein. Sie setzte sich auf, staunte über das saubere weiße Nachthemd, das sie trug und über das weiche, von allen Krusten befreite Haar, das ihr über die Schultern fiel.
    Ich bin wieder ein Mensch, dachte sie und sah sich in der karg eingerichteten, aber ordentlichen kleinen Kammer um, die direkt neben der Backstube liegen mußte, denn sie hörte die alte Matka nebenan hantieren. Doch mit der Freude an all dem Luxus, der sie umfing, kam auch die Erinnerung zurück und die brachte Tränen. Sie weinte um Matthäus, um ihre verzweifelte Liebe, um die Frau und das Kind, die sie von ihrem Wagen geschossen hatte, sie weinte, weil sie Gottes Strafe fürchtete, weil sie allein war und ihre Goldpuppe verloren hatte.
    »Warum weinst du? Geht es dir nicht gut?« fragte die alte Matka. Sie stand mit einem Becher in der Hand im Türrahmen und schaffte es, nicht einmal besorgt zu klingen. Es war eher ein Vorwurf und Juliane setzte sich rasch auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
    »Für Selbstmitleid ist keine Zeit, das tut dem Kind nicht gut«, setzte die alte Frau hinzu und fragte: »Fünfter Monat?«
    So viele Worte hatte die Alte in der ganzen Zeit, in der sie miteinander Geschäfte gemacht hatten, nicht hervorgebracht.
    Juliane wollte schnell aufstehen – aber ihre Knie gaben nach und sie konnte sich gerade noch am Bettpfosten festhalten.
    »Vierter, glaube ich«, antwortete sie und dann wurde ihr so schwindlig, daß sie mit dem Oberkörper aufs Bett fiel.
    »Gut, heute keine Arbeit, trink, dann

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