Die Marketenderin
er endlich ein.
Felix mußte ihn wachrütteln. »Die anderen sind schon reisefertig, Herr Oberleutnant!« schrie er ihm ins Ohr. Mühsam setzte sich Johannes auf. Böse Träume hatten ihn im Schlaf gequält und als der Schreckensruf »Les Cosaques!« erscholl, glaubte er, sich immer noch in ihnen zu befinden.
Aber er war sofort hellwach, als Felix zum Fenster stürzte, und das »Hurrah!« von Tschernitschefs Kosaken bis ins Spital drang. Johannes sprang auf, stellte sich neben Felix und sah Kosaken, die von allen Seiten herbeistürmten und auf alles Lebende in den Straßen einstachen.
Aus dem Fenster des oberen Stockwerks konnte Johannes einen guten Teil der Stadt überblicken, sah die Kosaken Tod, Verwirrung und Schrecken verbreiten, er beobachtete, wie aus den gegenüberliegenden Häusern die Bewohner Franzosen und andere Besatzer auf die Straße warfen, wo sie den Kosaken, die auf keine geregelte Gegenwehr stießen, ausgeliefert waren. Ein Kosakenführer trieb diese Menschen wie Vieh zusammen und scheuchte sie in die nahegelegene Kirche. Johannes erfuhr später, daß sie in dem kalten leeren Gotteshaus sechs Tage lang ohne Lebensmittel eingesperrt wurden und da jämmerlich starben.
An Flucht, Kampf oder gar Aufbruch war nicht mehr zu denken. Zusammen mit einigen Soldaten hatte Felix bereits das Spitaltor verrammelt, um wenigstens vor dem ersten Ansturm des Feindes gesichert zu sein.
Johannes wanderte ziellos durch die Räume des Spitals. Jetzt gab es keinen Ausweg mehr, auf ihn warteten Gefangenschaft oder Tod. Er wunderte sich, so viele gesunde Offiziere in den Räumen zu finden und erfuhr, daß General Graf von Scheeler noch in der Nacht dafür gesorgt hatte, daß genügend Nahrungsmittel in das Spital geschafft würden, da er mit dem Einfall der Kosaken in den frühen Morgenstunden gerechnet hatte. Diese Maßnahme sollte vielen das Leben retten.
Die gespenstische Stille im Inneren des Spitals stand im krassen Gegensatz zu den Tumulten, die von außen ins Gebäude drangen. Jedesmal, wenn an das gut verrammelte Tor gepocht oder ein Versuch unternommen wurde, es einzudrücken, ging ein Beben durch die Schar der gespannt wartenden Württemberger.
Gegen Mittag gelang es einem Trupp Kosaken schließlich, das Tor aufzubrechen. Sie stürmten in die Säle und Zimmer, nahmen Kranken und Gesunden Wertsachen und Kleidungsstücke ab und schlugen mit Knuten auf die Württemberger ein. Sie rissen Verwundeten die Verbände ab, um nachzusehen, ob sie darunter Kostbarkeiten versteckt hatten.
Johannes hatte es einem russischen Offizier zu danken, daß er das Hemd auf dem Leibe behalten konnte. Als es ihm ein Kosak nämlich abreißen wollte, versetzte ihm dieser russische Offizier einige Knutenhiebe und schrie etwas, was Felix ihm später übersetzte, obwohl zu Beginn des Feldzugs abgesprochen worden war, daß der Diener aus taktischen Gründen seine Russischkenntnisse nicht einsetzen würde: »Laß ihm wenigstens das Hemd, er ist ein armer Gefangener, wer weiß, ob du es morgen nicht auch bist!« Dann schlich Felix davon.
Die Kosaken tobten immer noch durch die Räume, als sich Johannes gegen drei Uhr mittags zu Eugens Bett vorgearbeitet hatte. Die neuen Pelzhandschuhe des Generalmajors waren ebenso wie sein Mantel und der Rest seines Besitzes verschwunden, aber seine Augen blickten wieder klar. Das Fieber war gefallen. Allerdings fuhr Johannes ein gehöriger Schreck in die Glieder, als sich die Augen seines Freundes plötzlich weiteten und er mit der verbundenen Hand zur Tür deutete.
»Das … das gibt es nicht«, stotterte er und auch Johannes stockte zunächst der Atem.
In polnischer Nationaltracht stürmte Felix mit einem Knüppel in der Hand in den Saal und schrie die Kosaken mit solcher Donnerstimme an, daß sie eiligst den Raum verließen. Der russische Offizier, der Gerter geholfen hatte, wechselte ein paar Worte mit Felix, nickte und wies zwei Wachen an, sich vor die Tür zu stellen.
»Ich habe mich als eure Schildwache ausgegeben. Es funktioniert. Ich hole jetzt Hilfe«, murmelte er Gerter zu, bevor er ins Nebenzimmer ging und dort ebenfalls die Knute schwang.
»Was, er spricht Polnisch?« fragte Eugen überwältigt.
»Sein Russisch ist besser«, erwiderte Johannes und hatte die Kraft zu einem kleinen Lächeln. Von Röder war fassungslos.
»Warum haben wir das nicht gewußt – er hätte uns doch helfen können …«
»Er hat uns geholfen, die ganze Zeit«, erwiderte Gerter, »aber jetzt ist nicht
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