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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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und geschoben, Fausthiebe wurden ausgeteilt und die Schwächsten zur Seite gerissen.
    »Weg hier«, schrie Felix und die drei Gefährten befreiten sich aus der Masse, gingen um die Stadtmauer herum, bis sie durch die jüdische Vorstadt einen freien Zugang fanden. Tausendfach schallten Rufe nach Brot, Wein, Bier und Branntwein durch die Straßen, wo Scharen von Neuankömmlingen sich auf der Suche nach Nahrung und Obdach drängten.
    Mit seinen Begleitern bog Gerter vom Marktplatz aus in eine Seitengasse ein und fand das Lichtensteinsche deutsche Kaffeehaus, in dessen Gastraum sie eine Reihe deutscher Offiziere entdeckten. Für zwei Silberrubel erhielt jeder ein schlecht gebackenes Stück Schwarzbrot und sauren, mit Wasser vermischten Wein. Eugen von Röder erkundigte sich nach dem württembergischen Hauptquartier, setzte sich mit Sorgenfalten auf der Stirn zu Johannes und Felix an den Tisch und teilte ihnen mit, daß Wilna nur ein trügerischer Hafen sei.
    »Die Stadt ist unhaltbar, heißt es jetzt«, sagte der Generalmajor, »und der Feind folgt uns auf den Fersen. Wir müssen so schnell wie möglich weiter.«
    Betroffen sahen die drei Gefährten einander an. Selbst wenn sie weiterwollten – ihre Füße würden ihnen an diesem Tag keine Dienste mehr leisten.
    »Eine Nacht«, seufzte Gerter, »bleiben wir eine Nacht, dann können wir uns morgen schneller aus dem Staub machen.«
    General Graf von Scheeler begrüßte den Generalmajor und den Oberleutnant herzlich, bedauerte aber, daß er letzteren bei den Württembergern nicht unterbringen könne. Er sorgte dafür, daß ihm das Kriegskommissariat drei Dukaten aushändigte und forderte ihn auf, ein Nachtlager in der Stadt zu suchen.
    Enttäuscht trat Johannes vor die Tür und sah Felix im Gespräch mit dem württembergischen Militärarzt Güntner, der schon seit Monaten im Spital der Stadt arbeitete.
    »Machen Sie sich keine Sorgen um mich«, rief Felix dem Oberleutnant zu, der sich wunderte, daß einzig noch Felix nach allen gemeinsam erlittenen Strapazen die Förmlichkeit bewahrte, »im Spital gibt's ein Strohlager für mich.«
    »Für mich vielleicht auch?« bat Johannes und der Arzt nickte: »Nicht gerade standesgemäß, aber für eine Nacht werden Sie es wohl aushalten.«
    Säle, Zimmer und Fußböden des Spitals waren mit mehr als 600 Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren gefüllt. Die meisten hatten erfrorene Hände und Füße. Gerter gesellte sich zu einer Gruppe von Offizieren, die am nächsten Morgen auf der Straße nach Kowno weiter nach Polen vorrücken wollten. Obwohl er sich kaum vorstellen konnte, jemals wieder seine Füße bewegen zu können, verabredete er sich mit ihnen zum gemeinsamen Aufbruch.
    Er war höchst überrascht, als ihn Felix spät in der Nacht weckte und ihn davon informierte, daß Generalmajor von Röder ins Spital eingeliefert worden war. Als Johannes an das Lager seines Freundes eilte, blickte ihn dieser mit glasigen Augen an und zeigte ihm ein Paar Fuchspelzhandschuhe: »Jetzt wird mir kein weiterer Finger mehr erfrieren«, murmelte er und da erst sah Gerter den Verband an seiner linken Hand.
    »Zwei Finger mußten amputiert werden«, sagte Spitalarzt Güntner später zu Gerter, »und ein Zeh am linken Fuß«, er zögerte, ehe er fortfuhr, »aber er ist so geschwächt, daß er nach der Operation zu fiebern begonnen hat. Wenn das Fieber nicht in den nächsten Stunden fällt, habe ich die größten Befürchtungen.«
    Betroffen legte sich Johannes wieder aufs Stroh, konnte aber trotz großer Müdigkeit zunächst nicht schlafen, da zu viele Gedanken auf ihn einstürmten.
    Juliane, Juliane, dachte er, vielleicht stirbt dein Vater jetzt und ihr trefft in einer anderen, gerechteren Welt zusammen und dürft euch kennen. Er konnte deine Mutter nicht heiraten, weil sie Marketenderin war. Und aus dem gleichen Grund bin auch ich nie auf den Gedanken gekommen, mit dir den ewigen Bund zu schließen. Wärst du als Tochter von Oberst von Röder in mein Leben getreten, hätte ich keinen Moment gezögert, um deine Hand anzuhalten. Aber dann wärst du sicher ganz anders gewesen und wer weiß, ob du mir als junge Dame der besseren Gesellschaft gefallen hättest? Bist du wirklich tot? Ich kann es mir nicht vorstellen, du bist der lebendigste Mensch, den ich kenne. Matthäus, treuer Freund, du weißt, was für ein Glück du hattest, die Assenheimerin heimzuführen. Heimführen … welch seltsames Wort in diesem Zusammenhang … Im Morgengrauen schlief

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