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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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schlafen«, befahl die Alte, stellte ihr den Becher auf den Holzschemel und schlurfte wieder aus dem Zimmer.
    Arbeit, welche Arbeit, überlegte Juliane, bin ich jetzt etwa Dienerin der alten Matka? Natürlich, sie kann eine junge kräftige Frau brauchen, die ihr beim Brotbacken hilft. Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel in den Straßen Moskaus verhungern und erfrieren oder als Gefangene gemartert zu werden. Wie bin ich überhaupt hierher gekommen? Und wie komme ich hier weg? Ohne Geld? Nie! Beim Gedanken, vielleicht für den Rest ihres Lebens in Moskau Brot backen zu müssen, brach sie wieder in Tränen aus. Nichts kann ich dir bieten, mein Kind, weinte sie nach innen, du wirst in Gefangenschaft geboren und wirst in Gefangenschaft leben müssen! Wie sollst du dann meine Botschaft verbreiten … Sie setzte sich wieder auf. Ihr Heft! War es mit den Kleidern im Ofen verbrannt worden? Waren all ihre Erfahrungen und Gedanken in Rauch aufgegangen? Sie mußte es wissen. Diesmal stieg sie vorsichtig aus dem Bett und schlich, sich an der Wand abstützend, in die Backstube.
    »Wo ist mein Heft?« fragte sie Matka und setzte sich schwerfällig auf die Bank, auf der jetzt wieder die bunt gemusterten Kissen lagen.
    Matka antwortete nicht, sondern knetete ruhig weiter den dunklen Teig.
    »In meinem Kleid war ein Buch«, begann Juliane erneut.
    »Du glaubst, daß Liebe die Antwort ist? Daß die Menschen aufhören werden, einander zu belügen, zu betrügen, zu bekriegen und zu töten, wenn genug Liebe in ihnen ist?« fragte die Alte in spöttischem Ton.
    Juliane blieb der Mund offen stehen. »Du hast es gelesen! Du kannst lesen?«
    »Die ganze Welt soll doch wissen, daß du die Lösung für ihre Probleme gefunden hast.«
    Aus ihren Worten klang offener Hohn. Sie deutete zu einer Wandnische. »Da liegt dein Heft, aber ich könnte es genauso gut in den Ofen werfen. Glaubst du wirklich, daß sich irgendein Mächtiger, der Zar, der Kaiser, der König, auch nur im geringsten für die Sorgen seiner Untertanen interessiert? Das würde nur Zeit kosten, die für den Machterhalt erforderlich ist.«
    Juliane hörte auf sich zu wundern, daß der Mund dieser alten deutschstämmigen Moskauer Bäckerin Worte formte, die sich offensichtlich auf Nachdenken gründeten. Sie wußte nicht, ob sie beleidigt sein sollte, weil ihre Ideen rundherum verworfen wurden oder sich darüber freuen, daß die Alte nicht nur endlich sprach, sondern auch etwas zu sagen hatte. Auch wenn ihre Gedanken ihr nicht gefielen. Sie stand vorsichtig auf, blickte in die Nische neben dem blank gescheuerten Tisch und konnte ihr Heft nicht sofort finden, weil es zwischen einem Stapel Bücher steckte.
    »Wieso kannst du lesen?« fragte sie die alte Matka, zog mit ihrem Heft ein paar Bücher heraus und legte sie auf den Tisch. »Die Geschichte der Seefahrt«, las sie staunend einen Titel vor.
    »Weil ich nicht immer Bäckerin war – so wie du wohl nicht immer Lumpensammlerin sein wirst«, antwortete Matka.
    »Lumpensammlerin? Was meinst du damit?«
    Bedächtig schob die alte Matka die geformten Brotlaibe in den Ofen, wandte sich dann um und setzte sich zu Juliane an den Tisch.
    »Natürlich erwarte ich, daß du mir auch beim Brotbacken hilfst. Aber da es immer noch nicht genug Mehl gibt, wirst du noch etwas anderes tun müssen, um Kost und Obdach zu verdienen.«
    »Lumpen sammeln!«
    »Lumpen sammeln. Die Stadt ist immer noch voller Schutt und zwischen allem Unrat gibt es Lumpen, Knochen, altes Eisen, Lederstücke, Papier, brauchbares Holz, jede Menge Dinge, die ich zu Geld machen kann. Aber ich bin zu alt und kann mich nicht mehr gut bücken. Solange du es noch kannst, wirst du diese Arbeit machen.«
    »Und wenn ich es nicht tue?«
    Die alte Matka klopfte mit einem knochigen Finger auf die Tischplatte. »Möchtest du wissen, was mit deinen gefangenen Landsleuten geschieht? Mit den Menschen, denen die Schuld an der Zerstörung Moskaus gegeben wird?«
    Juliane schüttelte hastig den Kopf. Sie wollte es wirklich nicht wissen, wollte nicht daran denken, daß Johannes vielleicht in diesem Augenblick gemartert und gefoltert wurde, wollte nicht wissen, was mit ihr geschehen könnte, wenn Matka sie auslieferte. Lumpen sammeln hatte seine Vorteile. Sie dachte nach, fragte, ob man sie denn nicht als Ausländerin erkennen würde, wenn sie durch die Straßen zog.
    »Du mußt lernen den Mund zu halten«, wies die Alte sie an. »Stummen Menschen tut man nichts.«
    Wilna war das Losungswort, das

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