Die Marketenderin
den kann ich jetzt nicht mehr fragen.«
Juliane stockte der Atem. Hatte sie die Fahrt umsonst gemacht? »Kommt er Sie denn nicht besuchen?«
»Ich habe gestern einen Brief von ihm erhalten. Er hat zuviel zu tun, sehr wichtige Aufgaben. Kann sich leider nicht mal mehr von uns verabschieden.«
Obwohl sie Gerters Diener nicht mochte, konnte sich Juliane nicht vorstellen, daß Felix sie angelogen hatte. Sie war etwas eifersüchtig auf den kleinen, breitschultrigen Mann, der sich ständig in Gerters Nähe aufhielt und von ihm mehr als Freund denn als Diener behandelt wurde. Ihr gefiel der Gedanke, daß der Leutnant seinem Diener verheimlicht hatte, wo er wirklich hinging, und da ihr als erstes eine andere Frau in den Kopf kam, stellte sich Juliane lieber schnell vor, daß er im Geheimauftrag des Königs unterwegs war.
»Sollten Sie meinem Bruder begegnen, grüßen Sie ihn bitte von mir und sagen Sie ihm, was … was die Soldaten mit dem Georg gemacht haben …« Zum ersten Mal liefen ihr jetzt Tränen aus den Augen. Juliane beugte sich vor und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Machen Sie sich keine Sorgen um Ihren Sohn, Frau Mössner. So schlimm ist's bei den Soldaten nicht. Am besten, Sie schreiben Ihrem Bruder. Der kann dafür sorgen, daß Georg in sein Regiment aufgenommen wird. Mit dem ziehe ich auch mit und dann kann ich ein Auge auf Ihren Jungen haben.«
»Das geht? Das würden Sie tun?« Franziska wischte sich mit einem Schürzenzipfel die Augen. »Wie kann ich Ihnen danken? Und die Stiefel muß ich auch noch bezahlen.«
Juliane ließ sich auf der Küchenbank zurückfallen. Ein Wink des Schicksals! Nun würde sie eine Art Familienband mit Gerter zusammenbringen, sie könnte sich um seinen bedauernswerten Neffen kümmern!
In ihrem Rücken fühlte sie etwas Hartes. Sie griff hinter sich und zog eine häßliche Puppe mit nicht ganz sauberem Kleid hervor.
»Ja, nehmen Sie die Puppe!« rief Franziska. Juliane sah sie verständnislos an.
»Es ist keine richtige Puppe.« Franziska nahm sie ihr aus der Hand, schraubte den Kopf ab und drehte die Puppe um. Ein kleines Goldstück fiel klimpernd auf den Tisch.
»Mein letztes. Aber das werde ich sowieso ausgeben müssen. Der Hof wirft im Moment zu wenig ab und ohne meinen Sohn werden die Geschäfte noch schlechter gehen. Wie soll ich das bloß schaffen! Noch dazu mit meinen ewigen Rückenschmerzen! Also die Puppe brauche ich bestimmt nicht mehr, ich schenke sie Ihnen. Das ist eine Goldpuppe, sehen Sie, der Bauch ist aus Leder und da passen eine Menge Goldstücke rein. Sie als Marketenderin können doch sicher ein Geldversteck brauchen!«
Juliane nahm die Puppe in die Hand und sah sie sich genauer an. So etwas hatte sie seit langem gesucht. Sie hatte sich schon den Kopf darüber zerbrochen, wo im Wagen sie ihre Schatulle verstecken sollte, weil ihr nie die Methode ihrer Mutter gefallen hatte, Goldstücke in Kleidung einzunähen.
»Kennen Sie denn meinen Bruder?« nahm Franziska das vorige Thema wieder auf.
Welch eine Frage, dachte Juliane, kennen Sie meinen Bruder! Sie hätte ihr erzählen können, wie sie Johannes Gerter zum ersten Mal begegnet war. Jede Kleinigkeit hatte sich ihr tief ins Gedächtnis gegraben.
Es war vor fast einem Jahr gewesen und sie erinnerte sich noch gut daran, wie die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne den Stuttgarter Marktplatz zu neuem Leben erwachen ließen. Mit den ersten Kräutern ausgestattete Stände versprachen ein Ende der einseitigen Winterkost, die Kundschaft hatte es weniger eilig, die Soldaten der nahe gelegenen Kaserne flanierten ohne Wintermäntel und das Lachen der Marktfrauen klang heller.
Damals trug Juliane ihre fellbesetzten Winterstiefel einzig und allein deshalb, weil sie keine anderen Schuhe besaß. Ihre Mutter, die zu der Zeit noch lebte, hielt es nämlich für wichtiger, die Vorräte an getrocknetem Fleisch aufzustocken.
»Krieg kommt immer, Kind, er und der Tod sind die einzigen Sicherheiten im Leben. Wir Marketenderinnen müssen klug und zeitig einkaufen – so erhalten wir uns und die Soldaten am Leben. Und wird's wärmer, gehst du barfuß.«
Sie war froh, daß ihre Mutter zu Hause geblieben war, konnte sie so doch viel unbefangener mit dem Korporal Matthäus Schreiber ihren Scherz treiben. Ihre Mutter sah es nämlich gar nicht gern, daß sie dem Soldaten schöne Augen machte und ihn dann neckisch abwies.
»Laß das Spiel, Kind! Entweder du nimmst den oder einen andern Soldaten. Aber heiraten
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