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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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willkommen auf der Plassenburg, Signor Neri! Ich hoffe, Ihr hattet eine gute Reise zu uns aufs Gebirg und seid nicht allzu müde. Ihr müsst uns viel von Eurem Land erzählen, Euren Sitten und Gebräuchen, die uns ja fremd sind. Stimmt es, dass Eure Stadt ins Meer gebaut und von Kanälen statt Straßen durchzogen ist? Habt Ihr schon einmal den Papst gesehen? Und was ist das für ein merkwürdiges Spießchen, das Ihr da in der Hand haltet?«
    Der Italiener begann, mit großer Begeisterung von
seiner Heimat zu erzählen. Die Hofstube hatte sich schon geleert und der Kaplan sich mit säuerlicher Miene zur Nacht verabschiedet, als er mit Georg und Barbara immer noch an der Tafel saß und auf tausend Fragen Antwort gab.

Plassenburg, August 2002
    Als Haubold erwachte, war die Karbidlampe niedergebrannt und er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er tastete in der völligen Dunkelheit nach dem Rucksack, kramte mit klammen Fingern eine Kerze und die Streichhölzer heraus und machte sich erst einmal Licht. Dann befestigte er im Schein der Flamme die zweite Karbidrolle an der Laterne, zündete sie an und blies die Kerze wieder aus. Im hellen Karbidlicht untersuchte er die Mauer, die den Tunnel sauber im rechten Winkel durchschnitt. Sie bestand aus kleineren Steinen und sah stabil aus. Trotzdem beschloss Haubold, dass hier seine einzige Chance lag. Eine Mauer konnte man durchbrechen, vor allem, wenn es eine alte Mauer war. Und er hatte immer noch den Klappspaten und den Pickel von Onkel Franz, die seitlich am Rucksack festgeschnallt waren. Er musste einfach durch. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
    Er stellte die Karbidlampe auf den Boden und
schnallte Pickel und Spaten los. Dann begann er, abwechselnd mit der scharfen Schaufelkante und der Pickelspitze den Mörtel zwischen den Steinen herauszulösen. Es ging schlechter, als er gehofft hatte, aber immerhin kam er vorwärts. Nach einer halben Stunde hatte er zwar vier tiefe Rinnen rings um einen Stein freigelegt, aber dabei den Pickel abgebrochen. Trotz der Kälte im Tunnel lief ihm der Schweiß in kitzelnden Bächlein den Rücken hinunter. Er rüttelte keuchend an dem Stein und schlug mit dem Spaten dagegen – nichts zu machen. Also weiter. Er hieb, stieß, kratzte und schabte, bis er blutende Blasen an den Händen hatte. Und er betete, dass es sich nur um eine Trennmauer handelte, die nicht allzu dick war.
    Nach schier endloser Zeit hatte der Kastellan um fünf Steine herum den Mörtel gelockert und herausgelöst, so tief es ging. Nichts bewegte sich. Er drehte den Spaten um und hieb mit aller Kraft den stählernen Griff gegen die Mauer, wieder und wieder. Etwas bröckelte und bröselte. Er holte Atem, dachte, um sich anzuspornen, an seine Kinder und versuchte es noch einmal. Da tat sich doch etwas im Mauerwerk! Noch ein paar Mal gezielt gegen den ersten Stein, der sich leicht verschoben hatte – es krachte, und Haubold taumelte mit voller Wucht gegen die Mauer.
    Aus einer Schürfwunde an der Nase und einem Riss auf der Stirn lief das Blut, und er war mit dem Fuß umgeknickt. Aber er war durch! Der Griff und
ein Teil des Spatenstiels waren durch die Mauer gebrochen und ragten auf der anderen Seite heraus. Drei der fünf gelockerten Steine lagen ebenfalls auf der anderen Seite. Haubold ließ sich an der Mauer entlang zu Boden rutschen. Er schnappte keuchend nach Luft, brach in ein heiseres, glucksendes Lachen aus und stellte fest, dass sein linker Knöchel zusehends dicker wurde.
    Jetzt musste er erst einmal fünf Minuten verschnaufen. Sein Mund war völlig ausgetrocknet, die Zunge klebte ihm am Gaumen, aber er widerstand der Versuchung, die letzte Dose Cola aufzumachen. Er rappelte sich umständlich hoch und begann, weitere Steine aus der Mauer zu brechen. Es ging jetzt viel leichter, und nach einer halben Stunde – so kam es ihm zumindest vor – wäre ein Mensch von normaler Körperbreite und -größe schon durch das entstandene Loch durchgekommen. Nicht so der Kastellan, der in diesen Augenblicken bitter bereute, seine letzte Diät schon nach drei Tagen wieder abgebrochen zu haben. Lieber Gott, wenn ich jemals hier herauskomme, flehte er innerlich, mache ich eine Fastenkur und höre nicht eher auf, als bis ich die hundert Kilo erreicht habe! Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch war er von diesem Traumgewicht noch weit entfernt, und so musste die Maueröffnung noch um ein Erhebliches verbreitert werden, bis sie endlich groß genug war, um ihn in seiner gesamten

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