Die Markgräfin
in der Fischergasse in der Kulmbacher Altstadt, nicht ahnend, dass dieses altersschwache Fachwerkhäuschen, das sie zusammen mit ihrem seligen Gatten nach dem Krieg billig gekauft hatte, in früheren Jahrhunderten einmal Teil eines der Kulmbacher Burggüter gewesen war. Und sie hatte auch keine Ahnung davon, dass ihr unscheinbares Heim außerdem zu den Erbbrauhäusern der Stadt zählte und seit dem 13 . Jahrhundert die Braugerechtigkeit besaß. Letztere Tatsache hatte dazu geführt, dass bis zur Jahrhundertwende ausschließlich Bierbrauer mit ihren Familien hier ansässig gewesen waren. Einer dieser menschheitsbeglückenden Produzenten von schmackhaftem Kulmbacher Dunkelbier hatte irgendwann den Gang, der in den Keller des Anwesens mündete, erweitert, weil er mehr Lagerkapazität brauchte, und nach ein paar hundert Metern abgemauert. Und ein armes Bürstenbinderehepaar aus Bad Berneck, das nach der Wirtschaftskrise von 1929 das Haus auf verschlungenen Wegen geerbt hatte, hatte natürlich mit so viel Bierkeller nichts anzufangen gewusst und den genutzten Vorratskeller gegen die Lagerflucht mit einer soliden Holztür abgeriegelt.
Vor dieser alten Tür stand seit dieser Zeit ein Regal, in dem die Damen des Hauses früher ihre Vorräte an Sauergemüsen und Eingemachtem aufbewahrt hatten und das jetzt eine ganze Batterie an leeren Einmachgläsern enthielt. Gleich daneben befand sich ein nie verrückter, wackliger alter Schrank mit ausgedientem Handwerkszeug, Schrauben und Nägeln. Dieser nun fiel durch Gregor Haubolds Bemühungen, das Licht des Tages wieder zu erblicken, scheppernd um.
Babette Garhammer, die schon immer einen leichten Schlaf gehabt hatte und außerdem trotz der allnächtlich applizierten Wattebäuschchen in ihren Ohren noch ganz gut hörte, schreckte aus ihren Kissen hoch. Im Keller rumpelte es! Sie schaltete das Nachttischlämpchen ein – ein himmelblaues Relikt aus den sechziger Jahren –, kniff die Augen zusammen und sah auf das Zifferblatt ihres Riesenweckers: halb zwei Uhr. Und wieder rumpelte es da drunten! Die alte Betty hievte sich mit einem lauten Ächzen zur Bettkante und angelte mit den Füßen nach den knöchelhohen, reißverschlussbewehrten Filzhausschuhen, die sie nicht nur drinnen, sondern auch meistens beim Einkaufen und Bordsteinfegen trug. Irgendetwas war da faul im Keller. Sie schob den noch leeren Nachttopf unters Bett, schlüpfte umständlich in ihren Morgenrock, ein fast bodenlanges Ungetüm aus fleischfarbenem, karogestepptem Nylon, schnappte sich ihren Stock, der am Bettgeländer hing, und
schlurfte zur Kellertreppe. Ganz eindeutig, von dort unten kamen seltsame Geräusche. Und eines war klar: Sie würde sich von keinem unverschämten Dieb die Kartoffeln aus dem Keller stehlen lassen, nicht in diesen schlechten Zeiten, und wo der Russe vor der Tür stand!
Geräuschlos öffnete sie die Tür zum Kellerabgang und knipste mit dem Drehschalter die alte Glühbirne im ersten Vorratsraum an. Dann wankte sie, leise vor sich hin schimpfend, langsam abwärts. Drunten war nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Wie immer standen hier Schränke mit Kleidungsstücken aus fünf Jahrzehnten, Farb- und Tapetenreste, ein alter Kühlschrank, ein leeres Krautfass sowie allerlei Trödel. Also würde sie auch den hinteren Keller inspizieren müssen. Da war es wieder: ein dumpfes Schlagen und Klopfen. Babette Garhammers Lippen schürzten sich über den zahnlosen Kiefern zu einer gefährlichen Grimasse, als sie drohend den Stock hob und die Tür zum hinteren Keller aufriss.
Gregor Haubold hatte sich bisher heldenhaft mit seinem Klappspaten bis zu der Holztür vorgekämpft, die den Bierkeller von den Garhammer’schen Vorratsräumen trennte. Der durch das stetige Hämmern zusammengebrochene Werkzeugschrank hatte ihn in seinen Bemühungen noch angefeuert, und er steigerte die Wucht seiner Schläge. Das Regal mit den ungefähr
vierzig litergroßen Einmachgläsern begann zu vibrieren.
Just als Babette Garhammer den hinteren Keller betrat, bot sich ihr ein unheimliches Schauspiel: Die Bretter wackelten, es dröhnte und hämmerte, und wie von Geisterhand bewegt begann ein Einmachglas nach dem anderen wie in Zeitlupe zu kippen. Die alte Dame verfolgte fassungslos, wie die Weckgläser in schöner Reihenfolge zu Boden fielen und klirrend zerbarsten. Schließlich krachte es ohrenbetäubend, Holz splitterte und brach, und eine Staubwolke erfüllte den Kellerraum. Babette Garhammer überfiel die nackte
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