Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
Vom Netzwerk:
hatte.
    Vor den Männern stand, nur von einer Schreibtischlampe
spärlich beleuchtet, der Karton mit den Säuglingsgebeinen, der kurz nach Weihnachten wieder aus Erlangen zurückgekommen war. Die kleinen Knöchelchen waren inzwischen sauber nummeriert und geordnet, und die Gestalt des winzigen Menschleins ließ sich deutlich erkennen.
    »Makaber«, meinte der Archivar, ein stämmiger Mittdreißiger mit Mecki-Haarschnitt und Vollbart. Kleinert stammte aus dem unterfränkischen Königshofen und war ein redseliger, trinkfreudiger und gemütlicher Mensch, außerdem gläubiger Katholik. Der Gedanke an einen möglichen Kindermord beunruhigte ihn zutiefst.
    »Wer bringt denn so was fertig?« Der Archivar verzog angewidert das Gesicht und schüttelte den Kopf.
    Pfarrer Kellermann putzte seine randlose Brille und setzte sie wieder auf sein markantestes Körperteil, die Nase. »Vier- bis fünfhundert Jahre soll das also alt sein – da wären wir beim Jahr 1500 aufwärts.«
    Kellermann, der aussah wie der alt gewordene Luther, war eigentlich Experte für Reformationsgeschichte, beschäftigte sich aber auch schon seit Jahren mit der Historie der Plassenburg. Schüttere kleine Löckchen umrahmten seinen runden Schädel von Ohr zu Ohr. Wie immer in seiner Freizeit trug er einen uralten beige gemaserten Shetlandpullover mit Zopfmuster und eine abgewetzte Cordhose. Wenn man ihn so sah, konnte man kaum glauben, dass er in
der Kirche eine imposante Erscheinung abgab – doch im Talar schien er wie eine Inkarnation des großen Reformators selbst.
     
    Haubold begann mit seinen Überlegungen.
    »Ich denke, wir können davon ausgehen, dass die Truhe mit dem Kind zwischen 1554 und 1577 auf keinen Fall eingemauert werden konnte, denn nach der Zerstörung der Burg im Bundesständischen Krieg war die Anlage eine riesige Baustelle. Da waren nur Arbeiter und eine kleinere Soldatenbesatzung – ziemlich unwahrscheinlich, dass es um diese Zeit einen Säugling auf der Burg gegeben hat.«
    »Glaube ich auch«, meinte der Archivar. »Erst ab 1577 unter Georg Friedrich lässt sich die markgräfliche Hofhaltung wieder auf der Plassenburg nachweisen, und das nur zeitweise. Da könnte so was schon passiert sein. Und – vorausgesetzt natürlich, dass die Datierung der Gebeine stimmt – dann können wir im Jahr 1603 aufhören zu suchen. Danach hielt sich nämlich der markgräfliche Hof im neuen Schloss in Bayreuth auf, und die Plassenburg war nie mehr Residenz.«
    Kleinert rieb sich den Bart.
    »Wie sieht es denn vor 1553 aus?« Kellermann meldete sich zu Wort. »Wenn wir um 1500 anfangen zu suchen, sind wir in der Regierungszeit Friedrichs des Älteren. Der residierte zwar die meiste Zeit in Ansbach,
war aber mit seiner Hofhaltung jedes Jahr mindestens einmal auf der Plassenburg. Nach Friedrichs Tod kam es zur Landesteilung unter seinen Söhnen Georg und Albrecht Alkibiades. Georg erhielt das Unterland und blieb im Ansbacher Schloss. Wir müssen uns mit Albrecht beschäftigen, denn der übernahm das so genannte ›Land auf dem Gebirg‹ – das Oberland mit der Plassenburg.«
    »Soviel ich weiß, ist Albrecht als Söldnerführer in kaiserlichen Diensten ständig herumgereist«, warf Kleinert ein.
    »Genau«, meinte Haubold. »darum glaube ich, dass Albrechts Regierungszeit für uns eher uninteressant ist. Wir sollten uns auf die Jahre bis zu Friedrichs Tod 1538 und dann wieder auf die Zeit zwischen 1577 und 1603 konzentrieren.« Der Kastellan schaute Einverständnis heischend in die Runde.
    Kleinert stieß mit dem Zeigefinger Luftlöcher in Richtung des Kastellans. »Wer sagt uns denn überhaupt, dass das Kind wirklich aus der markgräflichen Hofhaltung stammt? Es könnte ja genauso von einer Frau aus der Dienerschaft sein oder von einer Soldatenbraut aus der Besatzungszeit in den fünfziger Jahren. Dazu muss die Hofhaltung nicht auf der Burg gewesen sein.«
    Haubold stand auf und ging zu einem der Schränke neben der Tür. »Prinzipiell hast du schon Recht, Wolfgang«, sagte er und holte ein Tütchen aus dem
linken Schrank heraus, »aber da ist noch das hier.« Und er legte zwei kleine Metallscharniere, vier kleine, verzierte Beschläge und ein ebenso winziges Schloss auf den Tisch. »Das alles fand sich bei dem Kinderskelett, zusammen mit zerfallenen Holzteilen und Textilresten, wahrscheinlich von einer Truhe, in der die Leiche lag. Schaut Euch bloß die Metallarbeit an – wunderschöne Ornamente, Blumenmuster und ein ganz außergewöhnlich fein

Weitere Kostenlose Bücher