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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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nachdenklich den Kopf. »Ihr verlangt nicht wenig, Liebden. Aber ich verspreche Euch, über die Madonna nachzudenken. Bestimmt findet sich eine Lösung, mit Gottes Hilfe.«
     
    Tiefenthaler kehrte nachdenklich ins Pfaffenhaus zurück. Die Markgräfin hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Sie war eine starke Persönlichkeit, so schien es ihm, aber er ahnte auch etwas von ihrer Verletzlichkeit, ihrer Unsicherheit. Was ist sie nur für ein Mensch, fragte er sich. Eine hoch gestellte Frau, gewohnt zu befehlen, aufgewachsen in Luxus und
Überfluss? Und doch, da war etwas an ihr, was nicht passte. Ihre Hände hatten gezittert. Wovor hatte sie Angst? Warum hing sie so an der Madonnenfigur? Der junge Pfarrer grübelte. Er würde ihrer Bitte nicht nachkommen können – allein schon aus politischen Gründen war dies nicht möglich. Und dennoch hatte das Gespräch mit dieser Frau etwas in ihm angerührt. Sie hatte ihm nichts befohlen, hatte nur an ihn appelliert, setzte Vertrauen in ihn. Er sah ihre blitzenden grauen Augen vor sich, in denen er Zorn, aber auch Schwermut erkannt hatte, Augen, die sich in seine versenkten, tief und ernst. Er sah ihren Mund, ihr Haar, ihren Hals, ihre Hände. Wie es wohl war, wenn sie lächelte?
    Noch spät in der Nacht fand Tiefenthaler keine Ruhe. Die Markgräfin geisterte durch seine Gedanken und Träume. Irgendwann wachte er auf, der Mond schien hell auf sein Kissen und den Betstuhl in der Ecke neben seinem Lager. Und plötzlich war ihm klar, dass es nicht die Markgräfin war, die ihn so in Unruhe versetzte – sondern die Frau. So viele hatte er gekannt, junge, alte, hübsche, hässliche – keine hatte ihn je angezogen. Und jetzt – er stellte sich Barbaras Körper vor, reif und fest, ihren Nacken, ihre Brüste, ihre Scham, schwarz wie das dichte lange Haar. Seine Fingerspitzen glitten langsam über das Leintuch, als liebkosten sie ihre Haut.
    Der Schlag der Turmuhr riss ihn aus seiner Versunkenheit.
Er stand auf, erstaunt und fast ein wenig zornig auf sich selber. Mit einer unwilligen Handbewegung wischte er seine Gedanken weg. Ich habe mich von einer Stimmung hinreißen lassen, dachte er. Vielleicht ist der Mond schuld oder der Wintersturm draußen. Der neue Tag, der sich durch einen lichten Streifen am östlichen Horizont ankündigte, würde ihn schon wieder nüchtern werden lassen. Er kniete sich auf den Betstuhl und begann Versenkungsübungen zu machen, indem er halblaut lateinische Verse rezitierte. Doch irgendetwas in ihm blieb in Aufruhr.
     
    Als Barbara zur nächsten Frühmesse ihren Platz auf der Fürstenempore einnahm, hing die geschnitzte Muttergottes wieder an ihrem alten Platz.

Himmelkron, September 2002
    Thomas Fleischmann navigierte den beigen BMW seines Vaters vorsichtig in die Parklücke. Das Duftbäumchen Note Frühlingsbrise wackelte, als die Reifen über das Kopfsteinpflaster rollten. Fleischmann hatte auf das väterliche Gefährt zurückgreifen müssen, weil ausgerechnet heute früh die Lichtmaschine seines Jeeps den Geist aufgegeben hatte. Der junge Historiker stieg aus und sah von seinem Parkplatz
aus hoch zur Klosterkirche, die direkt über ihm auf einem kleinen Hügel mitten im Ort thronte. Fleischmann hatte sich vorsichtshalber fein gemacht: Er trug niegelnagelneue schwarze Jeans, ein hellgraues Flanellhemd und darüber seine geliebte braune Wildlederjacke. Schuhe und Brille waren frisch geputzt, die Haare lässig in die Stirn geföhnt und der Schnurrbart erst heute Morgen gestutzt. Schließlich besuchte er zum ersten Mal in seinem Leben ein Nonnenkloster! Er überquerte die Straße und stieg dann mit langen Schritten zur Kirche hinauf. Das Hauptportal war der Treffpunkt, den er mit Kleinert vereinbart hatte.
    Als er um die Ecke bog, stoppte er für einen Moment mitten im Lauf, und sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Denn vor der Kirchentür stand nicht, wie erwartet, der Kulmbacher Archivar, sondern der Gegenstand seiner Träume der letzten Tage und Nächte: Geli Hufnagel, das Klasseweib, angetan mit roten Karottenhosen und Birkenstock-Schuhen. Sie winkte ihm fröhlich entgegen.
    »Hallo! Haben Sie’s gleich gefunden?«
    »Natürlich. War ganz einfach.« Pause. Das alte Leiden.
    Aber Geli Hufnagel überbrückte souverän seine Verlegenheit. »Mein Chef musste heute kurzfristig auf eine dringende Sitzung und hat stattdessen mich geschickt. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
    Fleischmann schüttelte heftig den Kopf. »G … ganz
im Gegenteil.«

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