Die Markgräfin
frustriert nach Hause.
Plassenburg, Dezember 1552
Auf Barbara hatte die Begegnung mit Tiefenthaler eine besondere Wirkung ausgeübt. Und dass er die Madonna wieder an ihren alten Platz gehängt hatte und dadurch ihretwegen das Wagnis einging, den Zorn ihres Bruders auf sich zu ziehen, beeindruckte sie zutiefst. Sie hatte in den letzten Jahren nicht viel derartige Freundlichkeit erfahren.
Während der Predigt sah er einige Male zu ihr hoch. Diesmal sprach er über das bevorstehende Weihnachtsfest, über die Freude und die Gewissheit auf Errettung der Seelen, die durch die Geburt des Jesuskinds in die Welt gekommen waren. Wie alle aus der kleinen Gemeinde lauschte sie fasziniert seinen Worten. Sein Tonfall, seine Haltung, seine Stimme, alles an ihm nahm sie in überdeutlicher Intensität wahr. Mitten in der Messe ertappte sie sich dabei, dass ihre Gedanken abschweiften. Wie alt er wohl war? Fast zu jung für einen Pfarrer. Beinahe mädchenhaft sah er aus, wenn er beim Reden in die Gemeinde lächelte. Ihr fielen seine feingliedrigen Hände auf, die Art, wie er sich die blonden Strähnen hinter die Ohren strich, wenn sie ihm in die Stirn fielen. Irgendwann riss sie sich zusammen und konzentrierte sich in der restlichen Zeit auf die Liturgie und auf ihre Gebete.
Am Nachmittag begann es zu schneien. Feine weiße Flocken schwebten übers Land und bedeckten Felder und Wälder mit einem dünnen, silbrigen Schleier. Immer dichter wurde das Gestöber, und bald konnte man von der Mauer aus nicht einmal mehr die Stadt Kulmbach erkennen. Im Kamin des Frauenzimmers knisterte und flackerte ein helles Feuer und verbreitete angenehme Wärme. Durch das grünlich verglaste Fenster zum Hof beobachtete Barbara, wie Tiefenthaler das Pfaffenhaus verließ und mit schnellen, kraftvollen Schritten über den Sagarach zum Eingang des Ostflügels ging, den Umhang fest um die Schultern gezogen. Sie hatte den Kaplan zu sich bestellt, um ihm zu danken.
Als er klopfte, öffnete sie ihm selbst und ließ ihn eintreten. Er legte seinen Mantel ab und schüttelte sich die Schneeflocken aus den Haaren, die ihm danach in feuchten Strähnen über die Stirn fielen. An seinen Wimpernspitzen glitzerten winzige Tropfen.
»Wie Ihr seht, ist der Winter gekommen, Herrin«, lächelte er und blies sich die Handflächen warm. »Hier bin ich und stehe zu Eurer Verfügung.«
Die Markgräfin lächelte zurück. »Schön, dass Ihr da seid, Vater Tiefenthaler. Kommt heran zum Kamin und wärmt Euch auf.« Sie machte eine einladende Handbewegung und trat mit ihm ans offene Feuer.
»Ich habe Euch zu mir gebeten, Vater, weil ich Euch danken möchte. Ihr habt meine Bitte erfüllt und die
Madonna wieder zurückgehängt. Das werde ich Euch nicht vergessen.«
Tiefenthaler nickte ernst. »Es war Euch so wichtig, und da konnte ich mich Eurem Wunsch nicht verschließen. In meiner Kirche soll jeder das finden, was ihm Glauben gibt.«
»Das ist ein schöner Wahlspruch, Kaplan. Euer Vorgänger hatte ganz andere Grundsätze.« Verlegenheit bemächtigte sich ihrer, und sie suchte nach den richtigen Worten. »Ich muss gestehen, Ihr habt mich beschämt – nein, lasst mich nur reden –, ich habe mich gescheut, Euch den Grund für meine Bitte zu nennen. Ich kannte Euch nicht und wollte nichts von mir preisgeben. Ihr dagegen habt etwas für mich getan, ohne nach dem Grund zu fragen. Ihr hattet Vertrauen. Und deshalb … kommt, setzt Euch. Wenn Ihr meine Geschichte hören wollt, so werde ich Euch jetzt erzählen, warum mir die Madonna so lieb ist. Kätha!«
Die Gerufene eilte aus dem Nebenzimmer, wo sie mit Susanna Zehrer beim Sticken saß. »Herrin?«
»Bring uns einen Krug heißen Würzwein, meine Liebe, und vielleicht ein bisschen Konfekt? Ich glaube, gestern ist eine neue Lieferung vom Bayreuther Apotheker angekommen.« Kätha nickte und verschwand.
Die beiden ließen sich auf den gepolsterten Sesseln vor dem Kamin nieder, und Barbara begann mit
leiser Stimme zu erzählen. Sie sprach von ihrer Verheiratung nach Glogau, schilderte den Tod des Herzogs, ihre Rückkehr zur Familie und die neuerliche Hochzeit mit Wladislaus von Böhmen, der sie nie angenommen hatte. Tiefenthaler hörte die ganze Zeit schweigend zu. Seine Augen hingen an den Lippen der Markgräfin, die, den Blick in die Ferne – oder eher nach innen – gerichtet, ihre Erinnerungen vor ihm ausbreitete. Das Ersuchen an den Papst um Ehescheidung, die Verlobung mit Konrad von Heideck, schließlich ihre Verbringung auf
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