Die Markgräfin
Er hatte sich immer noch nicht von dem freudigen Schreck erholt.
Geli plauderte munter weiter. »Wissen Sie, eigentlich bin ich ja ganz froh, dass der Herr Kleinert verhindert ist. Meine Patentante arbeitet nämlich hier in der Verwaltung, als Sekretärin und Mädchen für alles. Als Kind habe ich oft bei ihr die Ferien verbracht und im Klostergarten gespielt. Für mich war das wie im Märchenschloss. Ich komme immer wieder gern her.« Sie hakte sich ganz selbstverständlich bei ihm unter. »Kommen Sie, wir gehen hinein. Sie werden staunen, es ist wirklich schön.«
Fleischmann folgte ihr in die Klosterkirche. Gelis Anblick wärmte ihm das Herz. Schon immer hatte er gefunden, dass dünne Frauen irgendwie lustfeindlich wirkten. Er liebte eher das Kompakte, Mollige. Während seine Schulfreunde früher für Madonna oder Kim Basinger geschwärmt hatten, stand er auf große und vollschlanke Typen wie Chaka Khan und Marianne Sägebrecht. »Griffsympathisch müssen sie sein!« – das hatte schon sein seliger Opa über die Frauen gesagt, und Fleischmann teilte diese Meinung. Und wie Geli Hufnagel so vor ihm ging, sah sie enorm griffsympathisch aus. Nicht dass sie dick gewesen wäre, Gott behüte. Nein, sie war einfach, wie sollte er sagen – stattlich, muskulös, üppig, germanisch. Fleischmann schmachtete.
Sie schlenderten gemeinsam durch die Klosterkirche, vorbei an den Orlamündergrabmälern und schließlich hinaus in den Kreuzgang. Der junge Historiker war tatsächlich beeindruckt. Über ihren Köpfen schwebte eine ganze Armada winziger Engelchen. Jedes einzelne von ihnen hielt ein mittelalterliches Musikinstrument in der Hand.
»Harfe, Flöte, Laute, Trommel, Leierkasten«, murmelte Fleischmann vor sich hin, den Kopf in den Nacken gelegt.
»Unter Musikwissenschaftlern ist unser Kreuzgang berühmt«, erklärte Geli Hufnagel, »hier waren schon Forscher aus aller Welt, weil dort droben Instrumente abgebildet sind, die es heute gar nicht mehr gibt und die längst vergessen sind. Schön, gell?«
Sie hakte sich wieder unter und führte ihn langsam weiter. Fleischmann genoss jeden Schritt. Wie immer, wenn er sich wirklich wohl fühlte, bekam er einen selig verschleierten Blick und blinzelte hinter seinen Brillengläsern wie eine Katze in der Sonne. Vom Kreuzgang aus betraten sie die Krypta mit ihrer wunderschönen Gewölbedecke. Sie standen unter einem strahlend blau gemalten Sternenhimmel und schauten andächtig hinauf.
»Das erinnert mich an San Francesco in Assisi«, flüsterte Fleischmann ergriffen, »da war ich mal mit der Volkshochschule.«
Einige Zeit später stiegen die beiden die Treppe zum Verwaltungstrakt hoch. Inzwischen waren sie beim »du« angelangt, und Fleischmann hatte es sogar einmal gewagt, seiner Begleiterin kurz, aber zutraulich den Arm um die Schulter zu legen.
»Hier im Kloster ist schon lange ein Behindertenheim der Diakonie untergebracht«, erklärte Geli Hufnagel. »Hier im Mittelbau sind die Küche, der Speisesaal und die Verwaltungsräume. Ich habe uns schon bei Tante Waltraud angekündigt, und sie weiß auch, was du suchst. Komm rein.« Mit diesen Worten schob sie Fleischmann durch eine offene Tür, über der ein Kruzifix hing.
Drinnen sah es aus wie im Urwald. Über zwei Schreibtischen, ein paar Aktenschränken und einer Garderobe mit Hutablage schwebten an kreuz und quer gespannten Garnfäden die Ranken einer grandiosen Efeutute, die mindestens seit zwanzig Jahren versucht haben musste, den Raum völlig zu überwuchern, und die jetzt kurz vor dem finalen Erfolg stand. Mitten in dem grünen Chaos saß eine rundliche ältere Dame und strahlte übers ganze Gesicht.
»Da seid ihr ja endlich, Kinderchen, ich hab mich schon gewundert, wo ihr bleibt. Kommt und setzt euch! Kaffee ist schon fertig, und ihr mögt doch bestimmt ein paar selber gebackene Küchle, oder?«
»Hallo, Tante Waltraud. Wir haben uns erst das Kloster angeschaut, deshalb sind wir später dran.
Darf ich vorstellen, das ist der Thomas Fleischmann aus Abenberg.«
»Sie können ruhig Tante Waltraud zu mir sagen, junger Mann.« Händeschütteln, Augenzwinkern – Fleischmann fühlte sich schon fast in den Schoß der Familie aufgenommen.
Schließlich gingen sie einen Stock tiefer in die Klosterbibliothek, einen verstaubten, muffig riechenden Raum ohne Fenster, dessen Wände bis zur Decke mit Bücherregalen verstellt waren.
»Hier ist alles recht ungeordnet, leider!« Tante Waltraud knipste das Licht an. »Um die alte
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