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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Augenblick, dann drückte er entschlossen auf die Klingel. Es öffnete ihm eine bebrillte Archivangestellte fortgeschrittenen Alters in Faltenrock und wollenen Strümpfen, die ihn zunächst etwas misstrauisch beäugte. Auf ihr argwöhnisches »Ja bitte?« rechtfertigte er sein Läuten damit, dass er zu einem Termin mit Herrn Dr.Horn geladen sei. Der Faltenrock führte Haubold mit schon wesentlich freundlicherer Miene nach links die Treppe hinauf durch einen schlecht beleuchteten Gang zum Zimmer des Archivdirektors.
     
    Walter Horn war ein liebenswürdiger älterer Herr mit grauen Haaren, gepflegtem Vollbart und Hornbrille und damit optisch der Prototyp eines Archivars. Seit Jahrzehnten war das Bamberger Staatsarchiv seine berufliche Heimat, und Horn lebte für seine Akten und Dokumente. Für ihn war jedes Schriftstück ein kleines Heiligtum, das er jedes Mal nur mit größter Ehrfurcht und lautlos jubilierendem inneren Jauchzen in die Hand nahm. Er war geradezu begeistert, als ihn sein Kollege Kleinert aus Kulmbach anrief, ihn über die anliegende Problematik aufklärte und das Kommen des Kastellans ankündigte. Mit Feuereifer stürzte er sich auf die Registerbände zur Quellenlage der Plassenburg im 16 . Jahrhundert, suchte, blätterte und schrieb.
    Als Haubold das Zimmer betrat, wühlte Horn gerade in einem Berg von Pappschubern, Ordnern und losen Blättern, der auf einem Ablagetisch vor dem Fenster sein unordentliches Dasein fristete. Einen dicken Leitz-Ordner unter den Arm geklemmt, eilte der Archivar freudestrahlend auf den Kastellan zu und schüttelte ihm die Hand.
    »Schön, schön, dass Sie endlich da sind, mein Lieber, ich warte schon ganz ungeduldig auf Sie.« Seine Stimme war beinahe knabenhaft zart, und er sprach mit einem seltsamen Singsang, was Haubold mit einigem Amüsement registrierte. »Kleinert hat Sie schon avisiert und kurz angedeutet, um was es geht. Ich bin ganz gespannt, was Sie zu berichten haben. Nehmen Sie Tee oder Kaffee? Kaffee, ja? Setzen Sie sich doch, hier bitte.«
    Er räumte einen Stapel Unterlagen von dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und schaute ihn mit geradezu kindlicher Erwartung an.
    »Sie haben also ein Kinderskelett aus dem 16 . Jahrhundert gefunden, richtig?«
    Der Kastellan erzählte brav von seinem Fund, während Horns Augen hinter den dicken Gläsern mehr und mehr leuchteten.
    »Da müssen wir ja unbedingt was herausfinden, oder?«, versetzte der Archivar enthusiastisch. »Ich habe schon gestern alle relevanten Register bereitlegen lassen und grob durchgesehen – also, es gibt eine
ganze Menge an Material zum 16 . Jahrhundert auf der Plassenburg. Ich würde vorschlagen, Sie sehen sich das mal an und bestellen sich die interessanten Signaturen.«
    Haubold war froh, in Horn einen solch begeisterten Mitstreiter gefunden zu haben. Zusammen gingen sie ins Nebenzimmer, und Horn setzte ihm die Register vor, schwere Folianten, in Leder gebunden und mit winziger, aber klarer Archivarshandschrift ausgefüllt. Umständlich entledigte sich Haubold seiner verschossenen Winterjacke, zog sein Schreibzeug aus der Aktentasche und machte sich über die dicken alten Bücher her.
    Schon bald schwante ihm Unangenehmes: Die Zahl der infrage kommenden Archivalien war größer, als er vermutet hatte. »Bedenken und Ratschläge der gebirgischen Räte wegen der markgräflichen Kammer- und Hausordnung zu Plassenberg. Hofordnung Plassenberg 1577 mit Frauenzimmerordnung. Personal- und Lohnlisten Plassenberg 1515 – 17 . Gemeinbuch Georg und Albrecht 1536 ff. Anschlag auf Unterhalt von 80 Personen samt Pferden auf der Plassenburg 1542 . Bettgewandinventar Plassenberg 1541 . Ach, du gute Güte. Besatzung der Plassenburg 1552 . Über den welschen Maler zu Plassenberg 1552 . Albrecht übergibt die Plassenburg dem Schutz des Landgrafen von Leuchtenberg … «
    Haubold machte mit dem Mund ein unschönes
Geräusch. Das war ja ein Fass ohne Boden. Mit solch einer geradezu hervorragenden Quellenlage hatte er nicht gerechnet. Einerseits war das für seine Nachforschungen von Vorteil, bedeutete aber andererseits, dass die vier Tage, die er für seine Archivarbeit veranschlagt und Urlaub genommen hatte, bei weitem nicht ausreichen würden. Und wenn er mehr Urlaub nehmen würde, hieß das, dass aus der Pfingstreise an die Ostsee, die er seiner Frau und den Mädchen versprochen hatte … o je, er mochte gar nicht daran denken. Sorgfältig notierte er sich die Signaturen der Archivalien, die er näher

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