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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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heran. Zum ersten Mal sah sie den Herzog ohne seine Kappe. Sein beinahe kahler Schädel mit den Grinden und
Schwären lag seitlich auf dem Kissen, die Gesichtszüge verschoben und grau zusammengefallen, dunkle Ringe unter den geschlossenen Augen. Sein Körper unter dem dicken Bettzeug kam ihr klein vor wie nie, die Hände durchscheinend und dürr. Er roch nach Schweiß, nach Kot und Urin und nach Erbrochenem. Auch ohne die Diagnose des Arztes hätte Barbara gewusst, dass sie einen Sterbenden vor sich hatte.
    Unendliches Mitleid erfasste sie mit diesem kleinen Häuflein Mensch, das so verloren und hilflos in der viel zu großen Bettstatt lag und mit dem Tod kämpfte. Barbara setzte sich auf das Bett und nahm mit einer liebevollen Bewegung die verkrüppelte Hand des einzigen Freundes, den sie bis jetzt gekannt hatte. Während sie die bizarr verformten Finger unbeholfen streichelte, tropften ihre Tränen auf das fleckige Betttuch.
    Mit einer Bewegung forderte die Herzogin das Gefolge auf, den Raum zu verlassen. Der Geistliche brachte sein Gesicht ganz nah an ihres, sodass sie seinen schlechten Atem riechen konnte.
    »Ihr wisst, gnädige Herrin, es ist nicht recht, ohne die übliche Zeugenschaft zu sterben. Niemals ist so etwas gehört worden. Die Herren vom Adel werden Euren Wunsch nicht verstehen, und ich als herzoglicher Beichtvater kann ihn unmöglich gutheißen. Bedenkt, was Ihr tut.«
    Barbaras Stimme klang rau vom Weinen. »Ihr
mögt um meinetwillen bleiben, der Hofadel soll gehen. Mein Gemahl hätte nicht gewollt, dass ihn die Herren so schwach sehen, wie er jetzt ist.«
    Die junge Herzogin biss die Zähne zusammen und starrte dem Geistlichen trotzig ins Gesicht. Ihre Finger schlossen sich fest um die Hand des Sterbenden, als wollte sie ihm mitteilen, dass sie bis zuletzt zu ihm hielte.
     
    Das Mädchen saß lang am Bett des Sterbenden.
    Sie dachte an die vielen Stunden, die sie in den vergangenen beiden Jahren mit dem Herzog verbracht hatte. Wie er über ihre altklugen Sprüche Tränen gelacht hatte, wie er sie mit ihrem römischen Glaubenseifer gefoppt hatte, wo doch der Herr Luther so recht den Glauben erneuert und berichtigt hatte. So oft war sie in die Herzogsgemächer gerufen worden, und der Herzog hatte mit einem Geschenk auf sie gewartet. Und wie liebevoll er sie beobachtete, wenn sie mit ihrem Hündchen spielte. Alles, was sie war, und alles, was sie wusste, verdankte sie ihm. Er hatte sie unterrichtet, sogar in Dingen, von denen die Erziehung eines Weibes nie handeln sollte. Sie hatte teilgehabt an seinen Gedanken und war dadurch zu einer inneren Freiheit gelangt, die einer Frau nicht zustand und die sie nach außen geschickt verbarg. Barbara dachte daran, was werden würde, wenn der Herzog nicht mehr lebte. Nachdem die Ehe nicht vollzogen war, weil sie
immer noch nicht die weibliche Blutung hatte, war ihre Stellung bei Hof nicht gesichert. Der glogauische Adel konnte die Ehe womöglich für nichtig erklären lassen und ihr das herrschaftliche Erbe, das ihr als Witwe zustand, streitig machen. Und wenn dann das Herzogtum einem vom einheimischen Adel zufiel, würde man sie als Witwe mit strittigem Anspruch nicht in Glogau bleiben lassen. Der Herzog war alles gewesen, was sie hatte. Jetzt, wo er darniederlag und mit dem Tode rang, fühlte sie sich müde und leer. Und sie hatte Angst vor dem Alleinsein.
     
    Ein leichtes Zucken riss sie aus ihrer Apathie. Die Finger der verkrüppelten Hand bewegten sich, dann der Arm. Der Kopf des Herzogs ruckte zur Seite, und sein eines Auge öffnete sich. Barbara griff nach dem Schwamm, der auf einem Dreifuß neben ihr lag, und befeuchtete die Lippen des Sterbenden.
    »Ich bin hier, Liebden, keine Angst, nur der Pfaff und ich. Habt Ihr Schmerzen – könnt Ihr sprechen?«
    Der Herzog öffnete und schloss den Mund; seine Lippen zuckten und sein linkes Lid flatterte. Zitternd erwiderte seine Hand fast unmerklich den Druck von Barbaras Fingern. Er formte Laute, die Barbara nicht verstehen konnte. Ganz nah brachte sie ihr Ohr an seinen Mund und hörte doch nur ein fast tonloses, ersticktes Stöhnen.
    Der Geistliche reichte ihr einen Becher mit warmem
Würzwein, den sie dem zitternden Herzog an den Mund setzte, aber er konnte nicht schlucken, und die rote Flüssigkeit lief seitlich wieder heraus und befleckte Hemd und Bettzeug. Der Herzog hustete, und dann kamen doch Worte, rasselnd und stockend.
    »Testament … Leibgeding … Schlesien … gehört dir … Liebfräulein …

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