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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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anschauen wollte.
     
    Als Haubold nach dem Mittagessen mit Horn wieder den Benutzersaal betrat, fühlte er sich behaglich satt und fast ein wenig schläfrig. Was er sah, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen und machte ihn schlagartig wieder hellwach: An seinem Platz lag ein Berg von dicken Folianten, Mappen, Pappschachteln, verschnürten Paketen und Heften. Als er sich setzte, sahen ihn die beiden anderen Benutzer im Saal mitleidig an, einer lächelte ihm sogar aufmunternd zu und flüsterte: »Schöner Haufen Arbeit, was?«
    Haubold nickte mit leidender Miene. Er griff sich den ersten Folianten und schnürte ihn auf. Leider musste er feststellen, dass er mehr Schwierigkeiten mit der Schrift des 16 . Jahrhunderts hatte als erwartet. Er war ganz einfach aus der Übung. Langsam,
aber zäh begann er sich durch die Archivalien zu kämpfen.

Glogau, März 1529
    Im Fürstenzimmer brannten sämtliche Kerzenleuchter, und auf die Simse hatte man zusätzlich Öllampen gestellt. Die flackernden Flämmchen warfen tänzelnde Schatten auf die feinen Tapisserien an den Wänden; lange, dünne Fahnen von Ruß schlängelten sich von den Lichtern hoch und hatten schon begonnen, an der Decke schwarze, rußige Flecken zu bilden. Es roch ranzig nach verbranntem Talg, überdeckt von einem Hauch Weihrauch mit seltenen Gewürzen, mit dem man den Raum in den letzten Tagen regelmäßig ausgeräuchert hatte. Das einzige Fenster des Raumes war mit dichten Barchentstoffen verhängt, aber die Zugluft drang trotzdem kalt und unangenehm herein – es war noch nicht Frühling.
    Der letzte Herzog von Groß-Glogau und Crossen saß halb aufrecht inmitten seiner Kissen. Er hatte die Augen geschlossen; durch den weit offenen Mund mit den zerbrochenen Zähnen ging sein Atem pfeifend und unregelmäßig. Sein linker Arm mit der verkrüppelten Hand lag auf der gestreiften Bettdecke, während sein rechter kraftlos aus der Bettstatt hing. Um
ihn versammelt war der glogauische Hochadel, dazu der herzogliche Beichtvater in vollem Ornat. Bei ihm stand mit gerunzelter Stirn der fürstliche Leibarzt.
     
    Die Tür öffnete sich, und ein Kammerdiener kam mit einem Röhrenleuchter herein. Er erhellte den Weg der jungen Herzogin, die hinter ihm ging, und verbeugte sich, um sie an das Lager ihres Gatten zu bitten. Barbara stockte der Schritt. Sie war inzwischen ein groß gewachsenes, robustes Mädchen von zwölf Jahren und hatte seit ihren Kindertagen an Liebreiz gewonnen. Ihre langen Haare verbargen sich unter einer perlenbestickten weißen Kalotte, und unter ihrem dem Anlass gemäßen einfachen und eng anliegenden Kleid zeichnete sich schon ein recht ansehnlicher Busen ab. Ihr Teint war immer noch makellos, wenn auch etwas zu dunkel, und die dichten schwarzen Brauen waren gezupft und in die Form von Schwalbenflügeln gebracht. In Barbaras hellen grauen Augen, die so oft vor Leidenschaft geblitzt hatten, wenn sie mit dem Herzog über alle möglichen Dinge unter dem Himmel disputiert hatte, lagen Melancholie und Kummer.
    Der Leibarzt, ein mageres Männchen mit Augengläsern und weitem Umhang, ging sofort auf sie zu.
    »Ihr kommt zur rechten Zeit, Herzogin«, sprach er mit leise schnarrender Stimme und berührte ein wenig zu vertraulich mit spitzen Fingern Barbaras
Arm. »Eurem Gemahl bleibt nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt.«
    Barbara stieß einen kleinen, wimmernden Laut aus und schlug die Hände vor den Mund.
    »Ihr könnt ihm nicht mehr helfen, Doktor Weinmann?«
    »Gott sei’s geklagt, ich fürchte nein«, antwortete der Arzt. »Ich habe alle Mittel meiner Kunst erschöpft, habe den Herzog wohl an die acht Mal zur Ader gelassen und ihm mehrmals den Einlauf gemacht, damit die schlechten Säfte den Körper verlassen – wie Ihr ja wisst, leidet er an einem bösen Schlagfluss, der vom Kopf auf die Lungen gegangen. Aber es ist keine Besserung eingetreten. Nach wie vor kann Euer Gemahl die rechte Seite nicht bewegen. Er ist zu Zeiten bei Sinnen, hat aber Mühe mit dem Reden, und sein Auge und Mund hängen einseitig herab – ein typisches Krankheitsbild, das all meinem Wissen nach nicht mehr auf guten Ausgang rechnen darf. Seit heute nächtens ist ihm auch noch das schlechte Wasser zur Lungen gestiegen und bedrückt nun das Herz, das bald nicht mehr widerstehen wird können. Er liegt auf den Tod, so helf ihm Gott.«
    Barbara senkte den Kopf. Bisher hatte sie noch nicht den Mut gehabt, ihren sterbenden Ehemann anzusehen, jetzt aber trat sie an die Bettstatt

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