Die Markgräfin
aber sie konnte nicht weinen; sie hatte keine Tränen. Kätha versuchte
vergeblich, sie mit Streicheln und gutem Zureden aus diesem Zustand der Starre zu lösen. Plötzlich war die praktische Susanna an ihrer Seite und drückte ihr den kleinen Jakob an die Brust. Wie in Trance nahm Barbara das Kind, setzte sich auf einen Scherenstuhl und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Ihr Blick ging irgendwohin in die Ferne. Sie begann ein Schlaflied zu summen.
»Da hast du den Bankert!«
Albrecht legte das schreiende Bündel vor Georg auf den Schreibtisch. Der zuckte zusammen und wich zurück. Aus einem Meter Entfernung beäugte er das Baby.
»Und jetzt? Was willst du jetzt mit dem Kind machen, Albrecht?« Er blickte ratlos auf das winzige Wesen herab.
Der Markgraf verzog das Gesicht zu einem müden Lächeln. »Ich? Gar nichts.« Mit spitzem Zeigefinger deutete er auf den Hauptmann, der ihn verständnislos ansah. »Aber du. Hast du mir nicht etwas zu beweisen? Schaff mir dieses teuflische Ungeheuer vom Hals, und ich vertrau dir und nehm dich mit.«
Georg von Leuchtenberg wurde heiß und kalt zugleich. »Aber Albrecht, ich … wie soll ich es denn … «?
Der Markgraf begann, sich die schmutzstarrenden Stiefel auszuziehen.
»Mir egal. Prell’s gegen die Wand, meinetwegen, oder nimm ein Messer, ist mir alles recht. Nur tu’s. Ich geh jetzt ins Bett und schlaf! Heut Abend will ich wieder weg sein.«
Er ging ins Schlafzimmer und warf die Tür zu.
In Georg von Leuchtenberg stieg das blanke Entsetzen auf. Er starrte abwechselnd auf die Tür, hinter der Albrecht verschwunden war, und auf das Kind. Es hatte inzwischen aufgehört zu schreien und machte mit dem Mund saugende Bewegungen. Die winzigen Fäuste öffneten und schlossen sich. In des Hauptmanns Kopf schwirrte es. Himmel, hilf, ich kann nicht mehr klar denken. Er presste die Hände vor den Mund und begann, verzweifelt im Zimmer auf und ab zu laufen. Ich muss doch mit nach Frankreich. Ich darf Albrecht nicht noch einmal verlieren. Er packte den Säugling mit beiden Händen, stellte sich vor die gemauerte Außenwand und holte aus. Das Kind nieste. Er ließ die Arme sinken.
»Ich kann’s nicht«, flüsterte er vor sich hin, »ich kann’s nicht. Was mach ich bloß?«
Eine geschlagene Stunde saß er da und schaute auf das Baby hinunter, das inzwischen wieder eingeschlafen war. Was ihm dabei durch den Kopf ging, hätte er hinterher nicht mehr sagen können. Dreimal hatte er sein Messer gezogen und an der Kehle des Kindes angesetzt, aber er konnte nicht zustechen. Schließlich begann er, an sich selbst zu zweifeln.
Und dann fiel ihm die Weiße Frau ein.
Als Kind hatte er die Geschichte des zollerischen Hausgespenstes vielleicht hundertmal gehört. Jetzt holte er sich jedes einzelne Wort wieder in Erinnerung. Er sah sich, Albrecht und den kleinen Grafen von Gleichen im Ansbacher Frauenzimmer vor der dicken Martsch sitzen und mit weit aufgerissenen Augen der alten Sage lauschen.
»Vor zweihundert Jahren«, so erzählte die Amme, »lebte auf der Plassenburg das Grafenpaar von Orlamünde. Der Graf Otto selber war schon alt, seine Frau Kunigunde dagegen jung, hübsch und lebenslustig. Eines Tages starb der Graf und hinterließ seine junge Witwe und zwei Kindlein, einen Buben von fünf Monaten und ein Mädchen von anderthalb Jahren. Bald verliebte sich die Gräfin in den stattlichen Burggrafen Albrecht von Nürnberg, einen Vorfahren der Markgrafen von Ansbach. Er war einer der begehrtesten adeligen Junggesellen seiner Zeit, so gut aussehend, stark und männlich, dass man ihn überall nur ›Albrecht den Schönen‹ nannte. Als sie ihm ihre Liebe gestand, erklärte er ihr, er würde sie mit Wonne nehmen, stünden nicht zwei Augenpaare zwischen ihnen. Weil das nun ihre Ohren kitzelte und nach ihren Lüsten schmeckte, dachte sie sogleich daran, ihre zwei Kinder aus dem Weg zu räumen, denn sie hielten, so glaubte sie, den Geliebten zurück. Und damit es das Ansehen hätte, als wären sie an einer heftigen
Krankheit natürlich gestorben, so durchstach sie den Wirbel auf dem Haupt der Kleinen mit einer Nadel und tötete sie so. Der Burggraf aber, der mit den vier Augen seine Eltern gemeint hatte, wandte sich von ihr. Die getäuschte Gräfin unternahm, von ihrem Gewissen gepeinigt, eine Pilgerfahrt nach Rom, um dort Vergebung zu erflehen. Nach ihrer Rückkehr gründete sie das Kloster Himmelkron und beendete ihr Leben dort als Nonne. Doch ihre Seele fand keine Ruhe. Nach
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