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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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gebirgischen Hauptmann, den mächtigen Stellvertreter seines Vaters im Kulmbacher Landesteil, dem der alte Markgraf die Aufsicht über ihn übertragen hatte. Nervös kratzte er sich an den Händen, wo zwischen den Fingern schon blutige Abschürfungen zu sehen waren. Es war die Krätze, die ihn in solchen Augenblicken besonders plagte; er brachte sie schon seit Jahren nicht los, so oft er auch Waschungen mit Essigwasser und Kräuterabsuden machte.
    Überhaupt war Albrecht kein gesunder Mensch. Schon von frühester Kindheit an machten ihm regelmäßig schwere Krankheiten zu schaffen. Durchfälle, Entzündungen aller Art, Furunkel und Fieberanfälle waren seine ständigen Begleiter. Er war von ungesunder Gesichtsfarbe, dünn und schlaksig. Seit seinem vierten Lebensjahr hatte man ihm einen eigenen Leibarzt beigegeben, den Doktor Leonhard Fuchs, der ihn auf Schritt und Tritt begleitete, aber seine schwächliche Konstitution auch nicht dauerhaft verbessern konnte.
    Albrecht konnte sich denken, was den Hauptmann der Plassenburg dazu bewogen haben mochte, ihn zu sich zu bestellen. Vorige Nacht war es in der Hofstube zu einem unglücklichen Zwischenfall gekommen.
Nach einem fröhlichen Trinkgelage mit einigen Höflingen und Kulmbacher Bürgern – seltsamerweise vertrug der sonst so magenschwache Albrecht enorme Mengen an Alkohol – hatte sich der kleine, kaum fünfzehnjährige Heinrich Groß von Trockau heimlich ein weißes Laken übergeworfen. Als gerade die Lichter gelöscht wurden, erschien er den letzten Zechern durch eine Nebentür als »Weiße Frau« – das legendäre zollerische Hausgespenst, dem man seit Jahrhunderten schon das Spuken auf der Burg nachsagte. Einige der jungen Herren waren zunächst zu Tode erschrocken, wogegen Albrecht, der wenig zur Mystik neigte, mutig auf den Geist zuging und in der Stube mit ihm rang.
    »Seht her, was Euer zukünftiger Markgraf mit einem Gespenst macht!«, schrie er und zerrte und zog die »Weiße Frau« quer durch den Saal. In der hinteren Ecke stand die Tür offen, die auf die Stiege hinausging, mit der man aus dem ersten Stockwerk auf den Schlosshof gelangte. Das Gespenst wehrte sich aus Leibeskräften, doch der junge Trockau war zu betrunken – er stolperte und torkelte und kreischte und kicherte wie irre. Dann folgte ein entsetzlicher Schrei. Der Markgraf hatte das Gespenst über das Geländer der Außentreppe hinunter in den Hof gestoßen. Ernüchterung trat ein. Die jungen Leute rannten über die Treppe zu der verdreht und verrenkt am Boden liegenden »Weißen Frau«. Einer zog das Laken weg –
es folgte blankes Entsetzen: Man erkannte den jungen Trockau, der sterbend dalag. Aus einer Wunde am Hinterkopf des Knaben sickerte Blut und bildete langsam eine dunkel glänzende Lache auf dem Pflaster. Noch bevor sich die ernüchterten Zecher entschließen konnten, Hilfe zu holen, tat der Junge seinen letzten Atemzug. Man beschloss, da nun nichts mehr zu machen war und niemand im Hochschloss etwas bemerkt hatte, die Leiche einfach liegen zu lassen. Albrecht hatte zwar jedem, der dabei war, Stillschweigen über den Hergang des Unfalls eingeschärft und das blutige Laken eigenhändig in die Lumpentruhe des Hofmetzgers geworfen, doch nun, im Schreibzimmer des Hauptmanns, war er sicher, dass doch jemand geredet hatte.
    Finsteren Gesichts trat der Hauptmann ein. Fritz von Lidwach war ein bulliger Mittfünfziger, dem eine Krankheit in seiner Jugend kein einziges Haar gelassen hatte. Ihm hatte man die Verantwortung für den jungen Albrecht übertragen, und er gedachte, seine Aufsichtspflicht ernst zu nehmen. Aus kleinen, wimpernlosen Augen sah er den Jungen an und stemmte die Arme in die Hüften.
    »Zunächst meinen Dank für Euer promptes Erscheinen, junger Herr. Könnt Ihr Euch denken, warum ich Euch habe rufen lassen?«
    Er forderte Albrecht mit einem Wink auf, sich zu setzen, und ließ sich selber auf einem Hocker hinter
dem Schreibtisch nieder. Albrecht legte den Kopf schief und hob fragend die Augenbrauen.
    »Dann muss ich es Euch wohl sagen«, fuhr der Lidwach fort. »Gestern Nacht ist einer Eurer Hofknaben ums Leben gekommen. Offenbar im Verlauf einer Zecherei, wie Ihr sie zu meinem Missfallen des Öfteren abzuhalten pflegt. Und, wie mir zugetragen wurde, seid Ihr nicht unschuldig an seinem Tod. Bevor ich nun, und Gott weiß, wie hart mich das ankommt, zum alten Trockau gehe und Bericht erstatte, will ich von Euch selber den Hergang wissen.«
    »Ich fürcht, lieber Lidwach,

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