Die Markgräfin
Tatsächlich, ein Initial!«
»Und das ›B‹ findet sich in den anderen Arbeiten auch, schauen Sie, hier ist es am Rand, und hier seitlich, und da ist es ganz in der Mitte.«
Die beiden steckten die Köpfe über den Klöppelsachen zusammen. Und wirklich ließ sich in jedem einzelnen Stück das gleiche Initial finden.
»Der Anfangsbuchstabe des Besitzers, vermutlich.« Fleischmann dachte an seine eigenen Stofftaschentücher, auf denen in jeder Ecke ein von seiner Oma liebevoll gesticktes » TF « prangte.
»Oder der Besitzerin«, verbesserte Stilla Spachmüller. »Ich glaube nicht, dass die Sachen einem Mann gehört haben. Deckchen, Babymützchen, hier vermutlich eine Spitzeneinlage für den Ausschnitt, ein Beutelchen mit zusammenziehbarem Rand. Nein, das waren auf jeden Fall Damensachen.«
Sie nahm sich vorsichtig die Teile des Mützchens und wandte sich zur Tür.
»Ich mache mich gleich mal an die Reparaturarbeiten, wenn es Ihnen recht ist.«
»Ja, ja, gehen Sie nur. Ich kümmere mich derweil um die Herkunft der Sachen.«
Fleischmann kramte den Auktionskatalog der Firma Boltz aus der Ablage und rief an.
Dort verband man ihn mit einer älteren Dame mit auffallend rauer Stimme, die sich zunächst als wenig hilfsbereit erwies.
»Wenn Sie nicht mehr Informationen in dem Paket bekommen haben, dann wissen wir auch nicht mehr. Alle Fakten, die uns zur Auktionsware zugänglich sind, liefern wir den Käufern selbstverständlich mit.«
»Ja, aber Sie können mir doch bestimmt sagen, woher das Auktionshaus die Sachen bekommen hat?« Fleischmann war die Enttäuschung anzuhören.
Die Reibeisenstimme verneinte. »Tut mir Leid, aber die persönlichen Daten unserer Anbieter dürfen wir nicht weitergeben.«
»Und wenn Sie … ich meine, könnten Sie dem früheren Besitzer vielleicht einige Fragen stellen und die Antworten an mich übermitteln? Oder ihn einfach fragen, ob er einverstanden ist, dass ich ihn mal anrufe? Ach, bitte, seien Sie doch so nett.«
Fleischmann warf all seinen Charme in die Waagschale und verlieh seiner Stimme einen schmelzenden Unterton. Bisher hatte diese Taktik – zumindest bei Frauen fortgeschrittenen Alters – noch nie versagt.
Am anderen Ende der Leitung seufzte es. »Na, meinetwegen. Ich muss allerdings erst im Eingangsbuch nachsehen, ob da ein konkreter Besitzer verzeichnet ist oder ob es sich um einen anonymen Nachlass oder
einen Trödelmarktskauf oder Ähnliches handelt. Moment.«
Pause. Fleischmann hoffte. Die Stimme meldete sich wieder.
»Hören Sie? Also, Sie haben Glück, hier im Eingangsbuch steht es: Die Sachen stammen von einer Dame aus Kulmbach. Ich werde versuchen, sie zu erreichen, und sie bitten, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Mehr kann ich nicht tun. Und versprechen kann ich gar nichts.«
Fleischmann bedankte sich wortreich und hinterließ seine Adresse und Handy-Nummer.
Kulmbach, Juli 2002
Pfarrer Kellermann saß an seinem Schreibtisch im Dekanat und brütete über der Sonntagspredigt. Das hatte es noch selten gegeben, dass ihm überhaupt nichts einfiel. Lag es an der Hitze? Seit vier Tagen erreichten die Temperaturen die Dreißig-Grad-Grenze, die Schulen hatten hitzefrei, und die Freibäder waren überfüllt. Kellermann hatte heute aus reiner Notwehr etwas getan, was er eigentlich zutiefst verabscheute, nämlich kurze Hosen angezogen. Lächerlich sah er darin aus, mit seinen weißen, dicht behaarten Beinen, den gestrickten Socken und den Birkenstock-Sandalen.
Er haderte mit sich selbst. Dies war nicht sein Tag.
»Jetzt gibt’s Kaffee!«
Lissy Kriegmeier, die Dekanatsschreibkraft, schwebte herein. Für Kellermanns Geschmack war ihr luftiges Sommerkleidchen ein bisschen zu durchsichtig. Überhaupt sah die Kriegmeier für eine kirchliche Angestellte immer entschieden zu flott aus. Und dieser Lippenstift! Man musste ihr allerdings zugute halten, dass sie ihre Arbeit tadellos und zuverlässig erledigte, keinen Gottesdienst ausließ und als Leiterin der Krabbelgruppe in der Gemeinde äußerst beliebt war. Sie stellte den riesigen Humpen, den Kellermann stets benutzte – eine lila Steinguttasse in der Form eines Nachttopfs mit dem Logo des Evangelischen Kirchentags von 1992 –, auf ein Seitentischchen.
»Hätten Sie dann noch etwas für mich, Herr Pfarrer?«
Kellermann schüttelte den Kopf.
»Ja, dann würde ich gern Zeitausgleich nehmen, weil’s heute so schön ist.«
»Nur zu, Frau Kriegmeier«, meinte Kellermann gnädig, »gehen Sie ruhig heim und
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