Die Markgräfin
und immer zum Reden aufgelegt. Sein fast kahler runder Schädel glänzte, während er um alle Ecken äugte und schließlich den Pfarrer entdeckte. Neugierig trat er heran und warf einen Blick über Kellermanns Schulter.
»Was machen Sie denn an so einem schönen Tag bei den alten Schwarten hier unten?«
»Oh, ich forsche ein bisschen im sechzehnten Jahrhundert herum«, entgegnete Kellermann gut gelaunt. »Die ›alten Schwarten‹ können recht interessant sein, wenn man Dinge aus der Stadtgeschichte wissen will. Wollen Sie mal reinschauen? Das hier ist ein Kulmbacher Heirats-, Sterbe- und Geburtenregister aus den Jahren 1540 bis 1553 . Geschrieben hat das einer meiner Amtsvorgänger, vermute ich, und zwar der damalige Pfarrer der Petrikirche Johann Eck.«
»Das ist doch derjenige, der die Reformation in Kulmbach durchgesetzt hat, oder?«
»Genau. Der Eck hat damals die Stadt und wohl damit das ganze Fürstentum Kulmbach auf die protestantische Linie gebracht. Und zwar so unumkehrbar, dass später der Landesherr, Albrecht Alkibiades, eine Restitution des katholischen Glaubens nicht
mehr bewerkstelligen konnte, obwohl er es versucht hat.«
»Aber schauen Sie, Herr Pfarrer, hier am Schluss, ab Dezember 1550 , da hat ein anderer geschrieben. Das ist eine völlig andere Schrift.«
»Ja, tatsächlich!« Nun sah es Kellermann auch. »Größere und schmalere Buchstaben, nach rechts geneigt, mehr Schnörkel und irgendwie eigenwilliger. Hm. Könnte sein, dass dies die Schrift des zweiten Pfarrers ist. Der alte Eck hat sich nämlich gegen Ende seiner Amtszeit Unterstützung geholt, einen jungen Geistlichen, der in Prag studiert hat, soviel ich weiß. Aber an den Namen kann ich mich nicht erinnern.«
»Vielleicht war das derjenige, der auch diesen berühmten Bericht über die Belagerung und Zerstörung Kulmbachs vom November 1553 geschrieben hat?«
»Georg Thiel, meinen Sie? Nein, das ist nicht derselbe. Thiel kam erst später hierher. Wenn ich mich recht erinnere, wurde er erst an Pfingsten 1553 als Hofprediger auf die Plassenburg berufen. Und die neue Schrift im Register setzt ja schon 1552 ein. Außerdem lässt sich das leicht beweisen. Warten Sie mal … «
Kellermann stand auf und holte einen anderen alten Band aus dem Regal.
»Hier haben wir eine Sammlung von Predigten aus den Jahren zwischen 1560 und 1570 . Diese Schriften stammen von Thiel; er war ja nach dem Wiederaufbau
Kulmbachs bis zu seinem Tod hier Superintendent. Und schauen Sie, der schreibt völlig anders.«
»Eindeutig, ganz anders«, bestätigte Buchner. »Sagen Sie, was ist denn eigentlich aus dem Johann Eck und dem anderen geworden, bei der Zerstörung von Kulmbach, weiß man das?«
»Eck ist vor der Einnahme der Stadt geflohen, so wie die meisten anderen auch. Zurückkommen konnte er allerdings nicht mehr, weil er kurze Zeit später in Coburg gestorben ist, vielleicht eine Folge der Strapazen. Und der andere – keine Ahnung.«
Buchner machte ein enttäuschtes Gesicht, wobei seine dicken Backen nach unten in Richtung Schultern sackten.
»Schade. Wär interessant gewesen!« Er sah auf die Uhr. »Oh, schon nach fünf, Schluss für heute! Sperren Sie alles zu, wenn Sie gehen, Herr Pfarrer?«
»Mach ich, mach ich«, versicherte Kellermann.
Nachdem der Messner gegangen war, hatte Kellermann zwar keine rechte Lust mehr, sah aber trotzdem noch die Register bis zum Jahr 1600 durch. Nichts. Außerdem wurmte es ihn, dass er den Namen des Inhabers der zweiten Pfarrstelle unter Johann Eck nicht wusste. Wenigstens den wollte er am Schluss noch herausfinden. Er suchte in den Regalen, bis er schließlich einen schmalen Band mit dem Titel »Bestallungen der Geistlichkeit zu Culmbach, ihr Aufgaben, Lohn und Deputat unter Mkgf. Albrechten«
entdeckte. Im Stehen blätterte er darin herum. »Hier haben wir es«, brummte er vor sich hin. »Samstag Lucie anno 1552 . Auf die zweite Pfarrstelle der Kirche Sankt Petri … aus Wittenberg – hm, also nicht aus Prag –, wo er die Wissenschaft der Theologie studiert hat … geboren anno 1529 zu Kitzingen … Magister Jacobus Tiefenthaler.«
Na, wenigstens ein Erfolg! Kellermann steckte das Heftchen wieder zurück, knipste das Licht aus und ging nach oben. Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht ahnen, worauf er an diesem Nachmittag tatsächlich gestoßen war.
Vor der Festung Landrecies, Frankreich, Juli 1544
Der junge Reitersoldat drängte sein Pferd brüllend durch das wogende Getümmel der Kämpfer. Er lenkte
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