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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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nicht gleich die Konzeption einer Ausstellung von Häkeljäckchen? Fleischmann hatte schwer mit sich gerungen, bevor er die auf ein Jahr befristete Teilzeitstelle in dem kleinen Städtchen Abenberg angenommen hatte. Aber Jobs für Historiker waren dünn gesät, und das Wichtigste war, erst einmal eigenes Geld zu verdienen.
    Fleischmann saß an seinem Schreibtisch, knabberte an einem Apfel und schaute trübsinnig aufs Abenberger Kopfsteinpflaster hinunter, auf das gerade ein Platzregen prasselte. Mit Zeige- und Mittelfinger kraulte der junge Historiker sein Oberlippenbärtchen. Bis übermorgen musste er ein Konzept präsentationsfertig haben, das immerhin die völlige Neugestaltung des Klöppelmuseums zum Inhalt haben sollte.
Fleischmann überlegte lustlos vor sich hin. Entnervt schmiss er den Apfelbutzen in den Papierkorb. Heute war einfach nicht der Tag zum Bäumeausreißen. Er stand auf, streckte sich und ging ein paar Schritte in dem kleinen Büro hin und her. Sein Blick fiel auf einen Beistelltisch in der Ecke, auf dem ein Karton stand.
    »Frau Spachmüller! Haben Sie das Paket zu mir hereingestellt?«
    Die bisherige ehrenamtliche Betreuerin des Klöppelmuseums steckte ihren Kopf zur Tür herein. Stilla Spachmüller, benannt nach der Schutzpatronin ihres Heimatstädtchens, der seligen Gräfin Stilla, war eine rundliche ältere Dame mit randloser Brille und weißen, hochtoupierten Haaren, die aussahen wie ein aufgestülpter Wattebausch. Sie war regelrecht aufgeblüht, seit Fleischmann das Museum führte. Ach, wäre sie bloß nochmal zwanzig! So ein hübscher junger Mann. Und so höflich und nett. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie rot wurde, wenn er sie ansprach. Aber jetzt schüttelte sie nur leicht den Kopf.
    »Ja, wissen Sie denn nicht mehr, das sind doch die Sachen, die Sie neulich bei der Auktion gekauft haben!«
    »Ach Gott, ja!« Vor sechs Wochen hatte Fleischmann bei einer Versteigerung des Auktionshauses Boltz in Bayreuth über das Internet ein Konvolut Klöppelwaren aus verschiedenen Jahrhunderten ersteigert,
hauptsächlich weil sich darunter auch Arbeiten aus leonischen Drähten befanden. Im letzten Jahrhundert nämlich, so hatte er in Erfahrung gebracht, war vor allem im Erzgebirge das Klöppeln mit Gold- und Silberdraht gebräuchlich gewesen. Mit dem härteren Material hatten – eine Besonderheit – nur Männer geklöppelt. Fleischmann sah im Geiste schon eine kleine Abteilung mit gold- und silberglänzender Klöppelware vor sich, ein gut beleuchtetes schimmerndes Prachtstück. So etwas, befand er, war für Museumsbesucher doch ungleich attraktiver als das restliche Zeug wie Deckchen oder Sofakissenbezüge und dergleichen.
    Er stellte den unerwartet leichten Karton auf den Fußboden und schlitzte mit seinem Autoschlüssel das Klebeband auf. Zunächst stieß er auf etliche Lagen weißes Seidenpapier. Darunter kamen die ersten geklöppelten Stücke zum Vorschein, mehrere verschnürte Päckchen mit der Aufschrift: »Annaberg, 19 . Jhd., div. Arbeiten«. Fleischmann kramte weiter. Endlich fand er das, wonach er gesucht hatte: ein dünnes Schächtelchen, etikettiert mit »Arbeiten aus Gold- und Silberdraht, Zeit u. Herkunftsort unbek.«. Fleischmann öffnete das Schächtelchen und war sofort enttäuscht. Was er sah, waren nicht die wunderbar glänzenden Klöppelteile, die er erwartet hatte. Nein, da lagen ein paar stumpf verblichene, netzähnliche Gebilde, die rostigen Ako-Pads nicht unähnlich
waren. Fleischmann schnaufte erbost. »Erhaltungszustand: gut bis sehr gut, dass ich nicht lache!« Er griff sich ein Teil aus der Schachtel und stellte fest, dass der Draht brüchig und an einigen Stellen schon aufgelöst war.
    »Das schicke ich denen zurück«, murmelte Fleischmann, »und zwar sofort. So geht’s ja nicht! Sieht aus wie der Scheuerschwamm von meiner Oma, das Zeug, und zerbröselt einem in den Fingern, bevor man’s in die Vitrine legen kann. Nee, nee, meine Damen und Herren.«
    Missmutig legte er die leonischen Drahtarbeiten neben sich auf dem Boden ab und wühlte weiter in dem Karton herum. Leer. Er stand auf, drehte die Schachtel herum und schüttelte kräftig. Das als Ausstopfmaterial benutzte zerknüllte Seidenpapier fiel heraus – aber nicht allein. Mit einem kleinen Plopp landete ein weiteres Päckchen vor Fleischmanns Füßen. Die Hülle war aus vergilbtem, fleckigem Stoff, wahrscheinlich Leinen, bräunlich und abgegriffen. Es war mit eindeutig ganz neuem Haushaltsgarn

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