Die Markgräfin
suchen Sie sich ein schattiges Plätzchen im Garten!«
»Schattiges Plätzchen? Ich fahre jetzt ins Freibad und lege mich in die Sonne. Schauen Sie bloß, wie blass ich noch bin!«
Kellermann schaute lieber nicht. Dass sich jemand
bei dieser Hitze auch noch freiwillig in die Sonne legen wollte, musste eine moderne Variante des Masochismus sein.
»Na, dann passen Sie bloß auf, dass Sie keinen Hitzschlag kriegen.«
Die Kriegmeier lachte fröhlich und entschwebte in ihrem Sommerkleidchen durch die Bürotür. Kellermann verdrehte die Augen.
Wieder allein, nippte er an seinem Kaffee. Er entschloss sich, die Sonntagspredigt auf den nächsten Tag zu verschieben. Der Schweiß lief ihm an der Stirn herunter, und er öffnete die Tür, damit es ein bisschen durchziehen konnte. Sein Blick fiel auf den Kellerabgang. Unten in den Kellerräumen lagerten die Bestände des Kulmbacher Kirchenarchivs. Und plötzlich wusste Kellermann, was er den restlichen Nachmittag über tun würde.
Drunten war es angenehm kühl. Alles, was sich im Laufe der letzten Jahrhunderte an kirchlichen Unterlagen in Kulmbach angesammelt hatte, lagerte hier mehr schlecht als recht in alten Hochregalen. Ziemlich schnell fand Kellermann die Abteilung, die er suchte: 16 . Jahrhundert. Ganz links im Regal stand das Taufregister, das er bereits durchgesehen hatte, ohne einen Hinweis auf das tote Kind auf der Plassenburg zu finden. Die Kriegmeier hatte das Buch falsch eingestellt; es stand auf dem Kopf. Kellermann grunzte,
nahm den dicken Band heraus und schob ihn richtig herum wieder hinein. Dann griff er sich das daneben stehende Sterberegister, einen in Leder gebundenen Folianten, auf dessen vorderem Umschlag die Worte »Heyrathen, Geburthen und Todesfell, ao. 1518 – 1541 « zu lesen waren.
Seitlich an der Wand stand ein Tisch mit einem wackligen Holzstuhl davor. Kellermann befreite beide mit einem zerknüllten Tempotaschentuch vom Staub, ließ sich nieder und begann nach Sterbefällen von Kindern zu suchen. Er stieß auf Familien, in denen über Jahre hinweg kein Säugling überlebte – Fieber, Durchfälle, mangelnde Hygiene und ansteckende Krankheiten forderten vor allem unter den Jüngsten und Schwächsten ihren Tribut. Endlich entdeckte er auch einige Sterbefälle, die Burgbewohner betrafen. Zwei davon fand er an zwei aufeinander folgenden Tagen im März 1541 : »In d. Nacht auf Gertrudis, ao. 1541 – Heinrich v. Trockau, Höfling u. Einrosser, die Treppen zur großen Hofstuben hinabgestürtzet u. todt gefunden, im 15 ten Lebensjahr.« Und dann: »Nacht Gertrudis ao. 1541 – Hippolytus Beckh, 47 Jahr alt, unsers gned. jungen Herrn Praeceptor u. Lehrer, zu Todt gezechet u. im Schlaffe gest.«
»Na, schöner Lehrer, so einer«, murmelte Kellermann kopfschüttelnd vor sich hin, während er sich den nächsten Band aus dem Regal holte.
Zwischen 1542 und 1552 fand Kellermann im Register
nur einen einzigen Toten auf der Plassenburg: Im Herbst 1552 befielen den Burgkaplan Otto Körber im Alter von 78 Jahren Atemnot und Krämpfe, worauf er, versehen mit den heiligen Sterbesakramenten, »tugenlich verschied«.
Ab November 1553 mehrten sich die Sterbefälle im Register. Kellermann erinnerte sich, dass ungefähr um diese Zeit die Belagerung Kulmbachs durch die Truppen der Koalition gegen Albrecht Alkibiades begonnen haben musste. Die Todesursachen und die Verstorbenen selber bestätigten dies: Es waren jetzt junge Männer darunter, Landsknechte oder kämpfende Stadtbürger mit Verletzungen durch Kämpfe vor der Stadt, aber auch Zivilisten – Alte, Frauen und Kinder –, die durch Kanonenschüsse, Brandsätze, Dach- und Mauereinstürze starben. Schließlich zwei ganze Seiten mit Toten, erschossen, aufgespießt, erstochen, Kehlen durchgeschnitten, verbrannt – ganz offensichtlich spiegelten sie die Einnahme der Kulmbacher Vorstadt durch das bundesständische Heer wider. Die Eintragungen endeten am 26 .November 1553 mit dem Satz: »Item da der Fall Culmbachs kurtz bevor stehet, beginnet ein grosz Flüchten in die Wälder; wer Einlass erhält, auch aufs Sloss.«
Kellermann, ganz versunken in seine Lektüre, fuhr auf, als er ein Rumpeln hörte, gefolgt von schweren Schritten, die die Treppe herunterkamen.
»Ist da drunten wer?«
Heinz Buchner, der Dekanatshausmeister und Messner der Petrikirche, tauchte zwischen den Regalen auf und sah sich suchend um. Buchner war ein agiler Sechzigjähriger mit einem kleinen Schmerbäuchlein, immer freundlich
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