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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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den Atem nahm. Ächzend rappelte er sich hoch und sah das Blut, das seinen ledernen Beinschutz bereits dunkel gefärbt hatte. Er versuchte aufzustehen, aber
sein gesamtes linkes Bein war von solcher Schwäche befallen, dass er es nicht heben konnte. Angst und Übelkeit stiegen in ihm hoch. »Wenigstens bin ich bei den Meinigen in Sicherheit«, dachte er. Doch in diesem Moment stob die ganze Truppe der Pistolenreiter an ihm vorbei und setzte den flüchtenden Franzosen nach. Er wollte rufen, doch er brachte nur ein schwaches Krächzen aus der Kehle. Steine und Dreckklumpen, aufgewirbelt von den Hinterhufen der Pferde, prasselten auf ihn herab. Als sich der Staub wieder legte, sah er die Pistolenreiter nur noch von weitem. Er war allein.
     
    »Der Nächste!« Hieronimus Stock, der Feldscher, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Wams war rot vom Blut der Verwundeten. Der gebürtige Schwabe, Sohn eines einfachen Schusters, hatte sich das Studium der Medizin nicht leisten können und stattdessen eine handwerkliche Ausbildung zum Wundarzt gemacht. Seit zehn Jahren verdingte er sich überall dahin, wo Krieg geführt wurde, und war zum Spezialisten für alle Arten von Hieb-, Schnitt- und Schussverletzungen geworden. Sein Ruf war bis an den kaiserlichen Hof gedrungen, und so hatte ihn Albrecht von Brandenburg-Kulmbach für sich und seine Truppe verpflichtet. Fünf Stunden arbeitete der Chirurg nun schon ununterbrochen, assistiert von seinem Gehilfen und Lehrling Benedikt, einem verschlossenen,
immer etwas finster wirkenden Achtzehnjährigen, der erst aufblühte, wenn er mit am Operationstisch stand.
    Der Operationstisch, eine einfache Konstruktion aus zwei hölzernen Schragen mit einer darüber gelegten Platte, stand im Freien neben einem großen Feuer, in dessen Glut die Eisen zum Ausbrennen der Wunden steckten. Darüber hing ein großer Kupferkessel mit kochendem Wasser. Ein länglicher Holzzuber war neben den Tisch gezogen worden, in den der Wundarzt achtlos die abgeschnittenen Gliedmaßen, Finger, Arme, Beine warf. Ringsum war alles rot gefärbt vom Blut. Es roch nach verbranntem Fleisch und den verschiedenen Salben und Pasten, die auf die Wunden geschmiert wurden. Etwas abseits wartete der Feldpfarrer auf seinen Einsatz; wenn es sein musste, spendete er noch auf dem Tisch den Sterbenden Trost und die letzte Ölung. Die Schreie der Hunderte von Verletzten, die in unmittelbarer Nähe gelagert wurden, übertönten diejenigen der Patienten, deren Wunden bei vollem Bewusstsein vom Arzt versorgt wurden, bis hin zum Abtrennen von Gliedern, die nicht mehr zu retten waren.
    Der junge Pistolenreiter war einer der Letzten, den man zu Hieronimus Stock zum Verarzten brachte. Man hatte den durch den starken Blutverlust ohnmächtig Gewordenen erst spät gefunden und zum Feldlager geschafft, und außerdem gab es
dringendere Fälle als ihn. Zwei Helfer wuchteten den Bewusstlosen mit Schwung auf den Operationstisch. Der Gehilfe schlitzte geübt mit dem Schermesser den blutdurchtränkten ledernen Beinschutz auf und legte die Wunde frei.
    »Schussverletzung im Knie«, diagnostizierte er in Richtung von Hieronimus Stock, der sich in einer Wanne die Hände säuberte. »Die Kugel steckt noch.« Vorsichtig begann er, mit einem Schwamm die Wunde vom Blut zu säubern. Der Verletzte zuckte, stöhnte, öffnete die Augen und versuchte, sich aufzurichten. Sein bleiches Gesicht war schmerzverzerrt.
    »Keine Angst, Soldat, du bist beim Feldscher und in Sicherheit. Wir richten jetzt dein Knie, also bleib ruhig liegen, beiß die Zähne zusammen und halt’s aus. Sei froh, dass du lebst!«
    Der so Angesprochene ließ sich mit einem Seufzer wieder zurückfallen.
    Währenddessen begutachtete Stock die Wunde.
    »Sieht übel aus, das Knie, was? Bluten tut nichts mehr, das ist schon gut. Aber die Kugel muss heraus. Benedikt, den Storchenschnabel! Und halt das Bein gut fest!«
    Der Gehilfe reichte seinem Meister eine Art Pinzette, die dieser in den Schusskanal einführte. Der Verletzte schrie, als das Instrument in sein zerschmettertes Knie eindrang, und bäumte sich auf.
    Stock stocherte ungerührt, bis er die Kugel spüren
konnte, zwickte die Pinzette zusammen und zog sie mit einer drehenden Bewegung heraus.
    »Da!« Er hielt die deformierte Kugel hoch. »Blei, kein Stein. Schau, Benedikt, die Kugel ist zwar draußen, aber das Knie ist kaputt. Was sagt das Feldbuch der Wundarznei zu Verletzungen durch Bleikugeln?«
    Das »Feldtbuch der Wundtartzney«

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