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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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des berühmten Straßburger Wundarztes Hans von Gersdorff war das am weitesten verbreitete chirurgische Fachbuch der Zeit. Benedikt kannte es bereits in- und auswendig.
    »Bleikugeln verursachen Zerreißungen und Quetschungen. Knochen werden zerschmettert, und die Splitter müssen entfernt werden. Weil die Kugel durch Schießpulver verunreinigt ist, muss die Wunde vom Gift befreit werden durch Herbeiführen einer Eiterung. Nur durch den Eiter findet eine heilende Reinigung statt.«
    »Brav. Also, du machst die Knochensplitter. Das Kniegelenk ist hin, auch die Kniescheibe. Da ist nichts mehr ganz, ja, ja.«
    Stock öffnete seine Salbentruhe, während der Gehilfe dem sich windenden und nach Luft schnappenden Verletzten die Knochensplitter aus dem Knie zog. Er griff sich eine Messingbüchse und entnahm ihr mittels eines Holzspatels eine kleine Menge schwärzlicher Paste, die er auf und in die Wunde schmierte.
    »Verbinden, los.« Er wandte sich an den Pistolenreiter,
der jetzt schwer atmend, aber entspannt und mit geschlossenen Augen dalag.
    »Also, Freund, dein Knie ist gerichtet. Die Eiterung wird bald einsetzen und deine Wunde vom giftigen Pulver säubern, das an der Kugel haftet. Mit ein bisschen Glück heilt’s dann ohne weitere Entzündung. Steif wird’s jedenfalls bleiben, weil das Gelenk vollständig zerstört ist. Na, bist ja noch ganz gut davongekommen! Der Nächste!«
    Der Pistolenreiter wurde vom Tisch gehoben und zu den anderen Verwundeten gelegt.
     
    Am nächsten Tag begann die Wunde zu eitern, wie es der Feldscher vorausgesagt hatte. Der junge Pistolenreiter erholte sich etwas, trank warmen Wein mit Ei, Kräutern und Honig und aß hungrig. Zusammen mit elf weiteren Verletzten hatte man ihn in ein Zelt verlegt, wo sich die Männer gegenseitig um ihre Wunden kümmerten. Als nach fünf, sechs Tagen die ersten schon wieder laufen konnten und das Zelt verließen, fühlte sich der Pistolenreiter wieder schlechter. In seinem Knie wühlte es wie ein Feuerbrand. Unter dem Lumpenverband quoll immer noch gelblich-grünes, mit Blut vermischtes Wundsekret aus dem Schusskanal. Die Wundränder verfärbten sich schwarz, und vom Knie abwärts schwoll das Bein zusehends an. Das Fieber kam. Stöhnend wälzte sich der Pistolenreiter auf seinem Lager. Als das Fieber täglich höher stieg,
die Schmerzen immer unerträglicher wurden und der Verletzte schließlich Schüttelfrost bekam und zu phantasieren anfing, brachte man ihn auf einer Bahre zurück zur Krankenstation des Wundarztes.
    Hieronimus Stock entfernte die Binden und betrachtete mit angewidertem Gesichtsausdruck das brandig aufgedunsene Bein. Es schimmerte dunkelblaurot bis schwarz, und die Haut sah stellenweise lederartig aus. Unterhalb des Knies hatten sich bereits Blasen gebildet, die Verflüssigung des Gewebes hatte begonnen. Ein widerwärtiger Geruch wie Jauche stieg von dem absterbenden Fleisch auf. Benedikt drückte sich ein Tuch auf die Nase und wendete sich angeekelt ab, um ein Würgen zu unterdrücken.
    »Gangrän. Hab ich mir’s fast gedacht.« Der Feldscher drehte sich zu seinem Gehilfen um. »Bei Schusswunden, notabene, tritt noch öfter der feuchte Brand hinzu als bei anderen Verletzungen, merk dir das, Benedikt. Warum bringt ihr ihn so spät, ihr hirnlosen Eselskälber?«, schnauzte er die Bahrenträger an. »Warum hat keiner seine Binden gewechselt? Ein Tag mehr, und er wär krepiert! Haut jetzt ab, ich muss operieren! Benedikt, hopp, schür das Feuer!«
    Er krempelte die Ärmel hoch und suchte seine Instrumente zusammen: das kleine spitze Messer zum Aufschneiden der Haut, das größere zum Durchtrennen der Muskelstränge, die Beinsäge, ein gezwirbeltes Haarseil zum Abbinden, Schwämme und Stofffetzen
für die Blutstillung. Das Glüheisen steckte er in das inzwischen aufflackernde Feuer. Er begutachtete den Fiebernden, der leise Unverständliches vor sich hin flüsterte, und band seinen Oberkörper mit Seilen am Tisch fest. Dann steckte er ihm ein Stück weiches, stoffumwickeltes Holz zwischen die Zähne.
    »Benedikt, bind ab!«
    Der Gehilfe legte die Schnur eine Handbreit oberhalb des Knies um den Oberschenkel und band mit einem doppelten Knoten zu. Dann schob er das Drehholz zwischen Bein und Schnur und drehte so lange zu, bis der Blutfluss sichtbar unterbrochen war – unterhalb der Drucksperre verfärbte sich das Bein langsam heller.
    »Los!«
    Stock arbeitete schnell und geschickt mit dem skalpellähnlichen Messerchen.
    »Schau, Benedikt, ich

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