Die Marseille-Connection
jeder sich bietenden Gelegenheit. Es wäre dumm, ihn mit einer Billigmarke zu enttäuschen.«
Sie näherte den Mund Aleksandrs Ohr und knabberte daran, was ihn zu einer unmerklichen Grimasse veranlasste. »Gibt es eigentlich Neues in Sachen des verfrühten Todes von Sosim Katajew?«, fragte er in der Hoffnung, sie würde ihn dann in Ruhe lassen.
»Nichts Neues. Die Medien bringen nichts mehr über das Blutbad im Sportzentrum, die Ermittlungen sind bereits eingestellt. Nach der Behandlung mit weißem Phosphor ist nichts übrig als verbrannte Knochen, es hat kaum einer identifiziert werden können. Nur der alte Witali ist mit allen Ehren beerdigt worden, die einem Pachan zustehen. Aber lassen wir die Toten ruhen. Du solltest dich jetzt darauf konzentrieren, dieser liebeskranken Frau deine Dankbarkeit zu zeigen«, sagte sie und schob ihm die Zunge zwischen die Lippen.
Kurz nach Morgengrauen wachte der Russe mit schmerzenden Gliedern auf, noch immer auf dem Sofa liegend. Er schleppte sich ins Schlafzimmer. Es war leer, das Bett unberührt. Er suchte Ulita in der Wohnung. Sie war weg, aber noch nicht lange. Die Kaffeekanne war noch warm, und der Duft ihres Parfüms schwebte in der Luft, als ob sie noch am Frühstückstisch säße. Leutnant Winogradowa wuchs sich in dieser heiklen, ja gefährlichen Situation allmählich zu einem Albtraum aus.
Er durchsuchte die große Wohnung nach Hinweisen darauf, was der FSB wirklich mit ihm vorhaben mochte, fand aber nichts außer einer Zahnbürste von französischem Fabrikat.
Als er unter der Dusche stand, war ihm klar, dass er dieseUnklarheit nicht mehr aushielt und einen Weg finden musste, Ulita dazu zu bringen, ihm reinen Wein einzuschenken. Vielleicht indem er ihre Beziehung intensivierte? Allein bei dem Gedanken wurde ihm übel. Außerdem war die Winogradowa nicht der passende Typ Frau für diese Strategie. Anstelle des Herzens hatte sie einen Medaillenspiegel.
Leutnant Winogradowa befand sich schon seit einer geraumen Weile im Villenviertel Saint-Barnabé. Nicht weit vom Zentrum entfernt und ruhig, war es immer beliebter geworden. Zahlreiche Häuser wurden renoviert, trotz der Wirtschaftskrise wuchsen die Umsätze der Maklerbüros beständig. Winogradowa besichtigte Villen, sie suchte ein eher kleines Haus mit Gärtchen und großer Garage. Das Haar trug sie zum Pferdeschwanz gebunden, dazu eine Brille mit Fensterglas, Jeans und Markensportschuhe. Mit ausgeprägt englischem Akzent stellte sie sich als Gattin eines Marketingdirektors vor, der jüngst nach Marseille versetzt worden war.
Das vierte Objekt war passend. Zweihundert Quadratmeter auf zwei Geschossen, umgeben von dreihundert Quadratmetern englischem Rasen. Der Angestellten des Maklers, die sie begleitete, sagte sie zwar, sie sei nicht interessiert, aber das Gegenteil war der Fall. Schon bald würde das Haus vom FSB angekauft und zum operativen Zentrum umgebaut werden.
Die Wahl war nicht zufällig auf dieses Viertel gefallen, denn das Zielobjekt der von General Worilow angeordneten Mission befand sich keinen Kilometer von der Villa entfernt. Langsam und auf jedes Detail achtend wanderte Ulita die Straße entlang, um die am besten für eine Überwachung geeigneten Orte herauszufinden.
Sie hatte Glück. Von einer Brasserie aus hatte man einen hervorragenden Blick auf die beiden Schaufenster der Partneragentur »Irina – Freundschaft, Partnerschaft, Ehe mit Frauen aus Russland, Rumänien und Belarus«.
Offenbar lief das Geschäft nicht gerade blendend, denn kein einziger Kunde betrat den Laden, bis um zwölf Uhr ein unauffälliges Paar von Mitte dreißig die Ladentür abschloss und ein nebenan gelegenes griechisches Restaurant betrat. Ulita folgte ihnen und fand einen Platz ganz in ihrer Nähe, von wo aus sie ihr Gespräch mithören konnte. Sie selbst bestellte laut auf Englisch beim Kellner, um keinen Verdacht zu erregen.
Die beiden unterhielten sich auf Rumänisch, der Mann beantwortete zwischendurch einen Anruf auf Ukrainisch. Aus den Akten wusste Ulita, dass beide auch fließend Russisch sprachen, wie die meisten Einwohner der winzigen, selbsternannten und international nicht anerkannten Transnistrischen Moldauischen Republik, die 1990 mit dem Segen der bereits zerfallenden Sowjetunion entstanden war. Um das größte Waffen- und Munitionslager Europas nicht unbewacht zu lassen, hatte Gorbatschow »brüderlich« und klug darauf verzichtet, die Vierzehnte Division aus der Hauptstadt Tiraspol abzuziehen. Die
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