Die Maske
der ihn beschwert hätte. Ich rollte ihn weiter auf und wunderte mich wieder einmal, wie schwer ein Teppich war, der gar nicht so wirkte.
Wie überall im Kloster bestand der Boden auch hier aus dunklen Steinen. Bis auf eine Ausnahme.
Die alte Luke in der Mitte mit dem schmalen Griff, in den ich soeben noch meine Finger hineinschieben konnte.
»Das ist er!« flüsterte die Äbtissin. »Ja, das ist der Zugang. Er ist noch ebenso wie früher. Nichts hat sich verändert. Ich sehe ihn erst zum zweitenmal. Zum erstenmal hat ihn mir meine Vorgängerin gezeigt. Es ist wie ein Wunder.« Ihr Zeigefinger zitterte, als sie auf die rechteckige Luke deutete. »Darunter, Mr. Sinclair, liegt eine andere Welt, die sie mit der, in der wir jetzt stehen, überhaupt nicht vergleichen können.«
»Was ist anders?«
»Sie werden keinen Menschen finden. Altes Gemäuer, von dem ich nicht weiß, ob noch alle Wände stehen. Rechnen Sie damit, daß einige von ihnen eingestürzt sind, auch die Decken.«
»Davon gehe ich aus. Ich hoffe nur, daß ich den Killer mit der Maske auch dort finde.«
»Dann werden Sie kämpfen müssen, Mr. Sinclair. Vielleicht auch töten. Denken Sie daran?«
»Sehr oft.«
»Es gibt Menschen, denen es sogar Spaß macht, andere zu töten. Bei Ihnen kann ich mir das nicht vorstellen.«
»Sie haben recht.«
»Und wenn es kein Mensch ist, der sich dort unten möglicherweise aufhält?«
»Bei einem Dämon bin ich gezwungen, meine persönlichen Skrupel über Bord zu werfen, Ehrwürdige Mutter. Es gibt Unterschiede zwischen einem Menschen und einem Dämon.«
»Das weiß ich.« Sie trat dicht an mich heran und segnete mich. »Möge der Herr Sie beschützen«, flüsterte sie.
Bei ihren Worten rann mirein Schauer über den Rücken, den ich nicht stoppen konnte. Ich bückte mich und schob die zusammengelegten Finger meiner rechten Hand in den Griff. Das kühle Metall hatte leicht Rost angesetzt.
Beim ersten Versuch schaffte ich es noch nicht, die Klappe anzuheben. Sie klemmte an den Seiten. Ich strengte mich mehr an, hörte die leisen knirschenden Geräusche und sah auch den Staub, der aus den Ritzen hervorquoll. Beim Hochheben rissen die Spinnweben, die sich festgesetzt hatten.
Die Luke wurde durch keine Klammern oder Bügel gehalten. Ich konnte sie ganz von der Öffnung wegziehen und sie danebenlegen. Jetzt war der Einsteig frei, aus dem mir ein Geruch entgegendrang, der an Grab und tiefe Vergessenheit erinnerte.
Meine Befürchtung, in die Tiefe springen zu müssen, verschwand, als ich die Treppe sah. Uralte Stufen, längst nicht mehr so verhanden, wie sie ursprünglich gewesen waren. An vielen Stellen ge-oder angebrochen und mit einem Staub bedeckt, der im Laufe der Zeit Feuchtigkeit angesammelt hatte und zu einer dunklen schmierigen Masse geworden war, die auch die Stufen glatt machte.
Ich leuchtete hinein. Spinnweben flitzten im scharfen Strahl der Lampe. Käfer und anderes Kleingetier wurden aufgeschreckt und verschwanden blitzschnell in schmalen Spalten und Ritzen, wo sie nicht mehr zu sehen waren. »Das ist eine Hölle, Mr. Sinclair, in die Sie hinabsteigen«, flüsterte die Äbtissin. »Eine gefährliche Hölle, die nicht jeder überstehen kann. Ich aber traue es Ihnen zu.«
»Danke.« Ich drehte mich um, lächelte sie an und sie lächelte barmherzig zurück.
»Noch einmal, der Herr sei mit Ihnen.«
Dieser Wunsch begleitete mich auf dem Weg in diesen uralten Teil des Klosters, wo angeblich das Böse in Gestalt des teuflischen Maskenmörders lauern sollte…
***
Die Äbtissin stand wie eine Säule neben der offenen Luke, die Augen gesenkt, den Blick in die Tiefe gerichtet, die ihr eine bedrückende Angst einjagte.
Aus diesem Loch wehte der Geruch der Jahrhunderte. War es ein guter oder ein schlechter?
Sie wußte es nicht, sie gab aber ehrlich zu, daß sie sich nicht getraut hätte, in diese Tiefe zu steigen, obwohl sie als sehr couragiert bekannt war.
Die Gestalt des Oberinspektors wurde von der Dunkelheit geschluckt. Nur mehr der feine Lampenstrahl war zu sehen, dann schlug er einen scharfen Bogen nach links, als der Mann in einem Stollen verschwunden war.
Die Frau hatte ihre Hände gegen die Wangen gelegt gehabt. Jetzt ließ sie die Arme langsam sinken und spürte plötzlich, wie etwas in ihr hochkroch oder sich ausbreitete, für das sie keine Erklärung fand, weil sie es dermaßen intensiv noch nicht erlebt hatte. Es war wie eine beklemmende Kälte, die ihren Körper umfaßte und immer mehr
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