Die Maske
zudrückte.
Warum?
Clarissa stand da und dachte darüber nach. Sie konnte den Grund nicht so rasch finden, doch aus heiterem Himmel hatte sie diese Gefühlsanwandlung bestimmt nicht überkommen.
Da war etwas…
Es gelang ihr, die Gedanken von John Sinclair wegzurichten und sich auf sich selbst zu konzentrieren und natürlich auf ihre Umgebung, die ihr vorkam wie in eine drückende Stille eingepackt, die sich immer mehr verengte, als würden sich die vier Wände des Zimmers aufeinander zubewegen, um sie zu zermalmen.
Das war schrecklich…
Aber herrschte tatsächlich die absolute Stille? War da nicht noch etwas anderes?
Nicht im Raum, nein, außerhalb und wahrscheinlich draußen im Gang. Sie lauschte noch konzentrierter, und dann vernahm sie das unheimliche Geräusch.
Eigentlich war es natürlich, in ihrem Fall allerdings flößte es ihr Angst ein. Eine Mischung aus Atmen und vorsichtig gesetzten Schritten, wobei die Sohlen noch über den blanken Boden hinwegschleiften, als würde der Ankömmling schlurfen, weil er nicht mehr die Kraft besaß, die Beine anzuheben.
Clarissa drehte sich nicht um. Sie blieb stehen, und sie dachte daran, daß keine der Nonnen diesen Gang besaß. Da kannte sie fast jeden Schritt.
Es gab nur eine Lösung!
Ein Fremder mußte sich in den unmittelbaren Bereich des Klosters eingeschlichen haben.
Wenn dem so war, gab es nur eine Lösung. Als Fremder kam der Mörder, die Maske, in Betracht!
Als die Frau mit ihren Gedanken diesen Punkt erreicht hatte, durchstieß sie die Angst. Plötzlich fing sie an zu zittern. Sie dachte daran, um Hilfe zu schreien, aber wer hätte sie in diesem abgelegenen Teil des Klosters schon gehört?
Zudem war auch John Sinclair zu weit weg.
Clarissa fand nicht den Mut, sich umzudrehen. So blieb sie neben der Luke steif stehen und wartete darauf, daß dieser Kelch der Furcht an ihr vorbeigehen würde.
Die Schritte und das widerlich klingende Keuchen waren lauter geworden. Ein Beweis dessen, wie nahe sich die unbekannte Person schon hinter ihr befand.
Jetzt war sie da — und…
Eine Hand legte sich schwer auf ihre rechte Schulter, als wollte sie die Frau in die Tiefe drücken. Die Berührung hatte sie tief erschreckt. Sie widerstand jedoch der Versuchung, sich umzudrehen und sich den Unbekannten anzuschauen. Clarissa wunderte sich selbst, woher sie die Kraft nahm, dies alles durchzustehen. Sie wehrte sich gegen den Druck und wartete zunächst nur ab.
Sekunden verstrichen. Für die Äbtissin eine lange, sehr dehnbare Zeit. Viele Gedanken durchzuckten ihren Kopf und formulierte sich zu einer Frage, die sie jedoch nicht stellen konnte, denn der Druck der Hand veränderte sich zu einem Ziehen, so daß die Frau nicht anders konnte, als nachzugeben.
Der Unbekannte zog sie herum.
Nicht schnell, nein, sehr langsam, beinahe gemächlich. Er ließ sich Zeit dabei, aber Clarissa kam sich vor wie in einem Kreisel. Ihr Blick glitt über die Wand, er streifte das Fenster mit dem hellen Sonnenlicht dahinter, fiel auch auf die Kommode und sah dann, was sie hatte sehen sollen. Das Gesicht!
Die Äbtissin schrie. Allerdings nicht laut, sondern in Gedanken. Denn ein Gesicht sah sie nicht, sondern eine aufgequollene Masse, durchwebt von Blutfäden, weißlich blau schimmernd, aussehend wie eine Mischung aus Haut und Leder.
Darüber der Hut mit seiner breiten Krempe und schwarz wie das Gefieder eines Raben.
Und unter der Krempe schimmerten die Augen. Zwei Augen, ein Augenpaar, ein bestimmter Blick, eine bestimmte Farbe, die Ähnlichkeit mit der hatte, die die Äbtissin kannte.
Himmel, das konnte nicht wahr sein. Das war ein Irrtum, eine satanische Täuschung.
Diese Ähnlichkeit, diese…
Sie wollte es hinausschreien, das aber hatte auch die Maske befürchtet und gewußt. Plötzlich war der Schmerz da!
So grauenhaft, so furchtbar und begleitet vom Geschmack des Blutes auf ihrer Zunge. Clarissa konnte es nicht mehr fassen, sie sah auch nicht, daß diese Maske eine Messerklinge in ihren Körper gedrückt hatte. Die Welt um sie herum verschwamm.
Als ächzende Laute über ihre Lippen drangen, sank sie in die Knie. Das Messer war wieder aus ihrem Körper verschwunden. Sie preßte die Hände gegen die Wunde, fühlte die klebrige Nässe, und plötzlich wurde es ihr klar.
Sie starb…
Es war der letzte Gedanke der mutigen Äbtissin, bevor sie in das Reich des Todes hineingezerrt wurde. Dicht vor der Luke blieb sie zusammengekrümmt liegen.
Die Maske reinigte die Klinge,
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