Die Maske des Alien
Fels.
Er hatte eine merkwürdige, spukhafte Stunde auf einem Zeremonienplatz verbracht und einer Leichenverbrennung zugesehen. Sie hatten den verwelkten alten Mann oben auf den Scheiterhaufen gelegt und ihm die Arme zusammengebunden. Den Grund dafür erfuhr Skallon bald. Als das Holz knackte und qualmte, ließ die Hitze die Muskeln kontrahieren und die Beine des Mannes begannen heftig zu zucken. Der Leichnam wand sich, während Gesänge zu ihm heraufstiegen. Dann zerplatzte der Bauch. Der Knall ließ Skallon zusammenschrecken, selbst noch aus fünfzig Metern Entfernung. Er kam genau zum Höhepunkt der Gesänge, wenngleich Skallon nicht verstand, wie die Trauergemeinde den Zeitpunkt für diesen Effekt hatte abpassen können.
Der Tod war nichts Ungewöhnliches in den Straßen von Kalic. Zierliche Frauen dösten in ihren Korbstühlen und glitten in die lange Bewußtlosigkeit hinüber. Männer taumelten die Bürgersteige entlang und stützten sich mit einer Hand gegen die Gebäude, und wenn ihre Gewänder beiseite gestreift wurden, sah man, daß das Fleisch in lockeren Fasern an ihnen herabhing. Sie verloren rasch an Gewicht. Eine automatische Abwehrreaktion gegen irgendwelche Krankheiten, Erkrankungen, die so neu waren, daß sie noch keine Namen hatten. Die älteren – Rasseln, Wasserauge, Krampf-faule, Stockatem – waren von den Erdlern kuriert worden; Skallon hatte darüber gelesen. Aber gegen diese seltsamen Epidemien konnte man nichts tun.
Dennoch glaubten die Leute offensichtlich, daß die Erde ihnen helfen könnte. In einer überfüllten Kneipe hatte ein Mann ihm unter rauhem Geflüster von einem speziellen Erdenhospital erzählt, das angeblich außerhalb der Stadt operierte und in dem die Erkrankungen geheilt würden. Ein anderer fluchte, zog ein blitzendes Messer hervor und brüllte wütend heraus, was er mit jedem Erdler tun würde, der sich noch einmal in Kalic zeigte. Seine Worte trafen ringsumher auf Zustimmung. Zum ersten Mal verspürte Skallon echte Angst, jemand könnte einen winzigen Fehler in seiner Aussprache oder an seinen Gewändern entdecken und ihn erkennen. Er murmelte eine Entschuldigung und ging; fast wäre er noch auf seinen Umhang getreten, als er in die freundliche Dunkelheit der Straße hinausstolperte.
Auf der Straße hätte er sich tatsächlich beinahe verraten, weil er über seine eigenen Füße stolperte. Sein ganzes Leben lang war er über sichere, ebene Flächen gelaufen. Auf der Erde war der Boden überall planiert. Selbst die Farmen, auf denen er gelegentlich seine Ferien verbracht hatte, waren im Laufe der Jahrhunderte von rollenden Landmaschinen zu glatten Flächen ausgewalzt worden. Aber hier in Kalic gab es keine Straße ohne Schlaglöcher, und wenige besaßen sauber abgegrenzte Gehwege. Eine Kreuzung von zwei Straßen ließ immer ein wenig Raum für einen Grasflecken, und das Gras griff in der schattigen Finsternis nach Skallons Füßen. Er mußte lernen, zu Boden zu sehen und zu navigieren. Das Gehen ermüdete ihn. Als das Battachran-Hotel noch einen Block weit entfernt lag, beschloß er, anzuhalten und sich für einen Augenblick in einem Tempel auszuruhen.
Ein schadhaftes Tor, dessen Angeln im Wind knarrten, führte in einen Hof. In einem runden Wasserbecken wirbelte fließendes Wasser, in dem zischend Blasen an die Oberfläche stiegen. Auf den gesprungenen Steinplatten auf dem Boden des schattigen Innenhofes spielte das Licht, das von einer Bierkneipe an der Straße herüberdrang. Er setzte sich hin und starrte zu den drei gerippten Bögen hinauf, die selber müde aussahen; einer war, mehr als die anderen, in sich zusammengesunken. Eine Hängelampe leuchtete bläulich, und der kleinere Mond Alveas stieg zernarbt und rot über dem milchweißen Fries des Tempels empor. In Skallons Augen bildeten die Eisenoxyde des Mondes einen hübschen Kontrast zu den vergilbten Neunundneunzig Namen des Einen, die den Fries bedeckten. Leise las er ein paar der Namen und verfiel dabei unbewußt in den Rhythmus des hohlen Getrommels, das aus einer Nebenstraße herüberklang, gelegentlich von den Schreien irgendwelcher Tänzer unterbrochen. Während er noch las, bewegte sich einer der elfenbeinfarbenen Pfeiler des Tempels. Dann kräuselte sich ein zweiter in dem matten Licht. Joane trat aus dem Tempel heraus in das blasse, rosafarbene Mondlicht. Sie schaute nach links und sah ihn nicht.
„Joane.“
„Oh! Ihr habt mich erschreckt. Ihr seid der …“
„Ja. Sprecht das Wort nicht aus.
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