Die Maske des Meisters
grinsend korrigiert: „Wie eine bunte Hündin, bitte.“
Schon als Teenager war sie selten ausgegangen, weil sie nicht mit dem Kleinbürgertum des Orts zurechtgekommen war. Sie konnte nicht nachvollziehen, weshalb der Rasen hinter dem Haus jeden Samstag gemäht werden sollte, wieso sie die Front nicht flammend rot streichen konnten, wo das doch damals ihre Lieblingsfarbe gewesen war, und warum ihre Schulkameradin Lucy Downey zu ihrer Tante nach Anchorage in Alaska geschickt worden war, nur weil man sie dabei erwischt hatte, wie sie ihre Freundin Tonja küsste, um herauszufinden, ob Mädchen anders schmecken als Jungen.
„Ich muss gehen.“
Claire wollte sich schon umdrehen, doch Melissa berührte kurz ihren Oberarm und hielt sie zurück. „Du willst doch wohl nicht zu Fuß nach Hause?“
„Todd braucht seinen Chevy.“ Das Stück zu gehen machte ihr nichts aus. Zu Hause erwartete sie eh nur ein leeres Haus und Langeweile.
„Und dein Auto?“
„Steht in New York City“, log sie und kam sich schäbig vor. Langsam, aber sicher schien sie ein Lügenkonstrukt um sich herum zu erschaffen. Warum konnte sie nicht einfach die Wahrheit sagen?
Eine Weile schaute sie gedankenversunken auf die Straße. Es war nicht so, dass sie mehr sein wollte, als sie war. Beruflicher Erfolg war ihr nicht wichtig. Sie konnte einfach nicht noch mehr Schmerz brauchen, wollte nicht, dass sich jemand über sie lustig machte und mit dem Finger auf sie zeigte, weil ihr Leben nicht so perfekt war wie das der anderen. Der Verrat von Morris war wie Gift in ihrem Körper, das zwar keinen Schaden mehr anrichtete, aber immer noch ein starkes Unwohlsein hervorrief.
Claire wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Bei Todd wollte sie sich auskurieren, und sobald ihre Wunden verheilt waren, würde sie neue Pläne schmieden und Oakwood wieder verlassen.
„Dann fahr ich dich.“
„Das ist wirklich nicht nötig.“ Claire hatte keine Lust, noch mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Mel hatte eine überkandidelte Art an sich, die sie nervte.
„Doch, doch! Ich bin mein eigener Herr, und niemand schimpft, wenn ich den Salon zehn Minuten später aufmache. Ein Vorteil, wenn man selbstständig ist.“
Und es bedeutete, dass sie so früh noch keine Termine vergeben hatte. Claire konnte es verstehen, wenn die Leute lieber in den altmodischen Friseursalon von Alma Green gingen. Alma quatschte ihre Kunden wenigstens nicht zu Tode. „Ich werde laufen. Es sind nur fünfzehn Minuten, und noch ist die Luft angenehm klar.“
„Auf keinen Fall. Du weißt doch“, Mel schaute in beide Richtungen und dämpfte ihre Stimme, „wegen der Sache mit Cynthia.“
Nun horchte Claire auf. Sie tat so, als würde sie noch immer über ihr Angebot nachdenken, dabei hatte sie sich längst entschlossen, mit Melissa zu fahren. „Na gut“, sagte sie schließlich.
Mel schloss ihren Wagen auf, einen weißen Hyundai. Weiß schien ihre Lieblingsfarbe zu sein. „Steig ein. Ich fahre dich zuerst. Meinen neuen Ausweis hole ich danach ab. Ich habe es durch die Geschäftseröffnung einfach nicht früher geschafft, ihn zu beantragen. Jetzt steht endlich Melissa Sherman drin.“
Claire nahm auf dem Beifahrersitz Platz und kurbelte das Seitenfenster ganz herunter. Sie konnte Mels Strahlen kaum ertragen. So glücklich war sie auch einmal gewesen. Es tat weh, nicht wegen Morris, sondern weil sie dieses Glücksgefühl vermisste. Sie wollte nicht mehr einsam sein, nicht mehr alleine durchs Leben gehen.
Vali tauchte in ihren Gedanken auf, ein Hoffnungsschimmer, noch schwach, aber er war da. Das beruhigte sie für den Moment.
„Cynthia …“, begann sie betont beiläufig, nachdem Mel losgefahren war, und betrachtete den Rosenkranz, der am Rückspiegel baumelte. Weiße Perlen. „Was ist deine Meinung zu dem schrecklichen Vorfall?“
Melissa legte ihren Zeigefinger an ihre kirschrot geschminkten Lippen, der einzige Farbtupfer an ihr. „Wir dürfen doch nicht darüber sprechen. Striktes Redeverbot für alle Deputys und deren Angehörige. Das weißt du doch.“
Da Claire nichts erwiderte, hakte sie nach: „Das hat Todd dir doch sicher auch mitgeteilt.“
„Natürlich“, log Claire und fragte sich, weshalb auch die Familien der Deputys zum Stillschweigen verurteilt wurden. Ging der Sheriff davon aus, dass seine Deputys ihren Verwandten gegenüber nicht den Mund halten konnten? Wenn er so wenig Vertrauen in sie hatte, sollte er sich neue Mitarbeiter suchen. Irgendetwas daran
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