Die Masken der Niedertracht
eine Erleichterung. Jemand hatte begriffen.
Man sieht, welche Bedeutung die unvorhergesehene Gegenwart von Zeugen hat, die weder der eine, noch der andere der Protagonisten hatte beeinflussen können.
Die Schwierigkeit, das Phänomen des beherrschenden Einflusses zu beschreiben, beruht darauf, daß zuerst eine Schwächung der inneren Grenzen zwischen den Partnern vor sich geht, dann ein Sprengen dieser Grenzen, und daß es nicht leichtfällt, den Augenblick auszumachen, da dieses Sprengen in Gewalt umschlägt.
In diesem psychischen Kampf werden die Opfer ihrer Substanz entleert und verzichten auf ihre eigene Identität. Sie verlieren in ihren eigenen Augen jeden Wert, aber auch in den Augen ihres Aggressors, der sie jetzt unbekümmert «wegwerfen» kann, da ja nichts mehr zu holen ist.
Der Zweifel
Tritt die Gewalt, die bis dahin durch den beherrschenden Einfluß verhüllt war, offen zutage, dann bricht sie ein in die seelische Struktur, die darauf nicht vorbereitet war, weil sie ja durch den beherrschenden Einfluß betäubt war. Es handelt sich um einen Vorgang, der undenkbar scheint. Die Opfer und die etwaigen Zeugen können einfach nicht glauben, was sich vor ihren Augen abspielt, weil eine solche mitleidlose Gewalt unvorstellbar ist – es sei denn, man ist selbst pervers. Man neigt dazu, dem Aggressor Gefühle (Schuldgefühl, Trauer, Gewissensbisse) zu unterstellen, die ihm allerdings völlig fehlen. Da es nicht vorbereitet ist, steht das Opfer wie vom Blitz getroffen und bestreitet die Wirklichkeit dessen, was es nicht begreifen kann. Das kann nicht geschehen sein, das gibt es nicht!
Angesichts dieser gewaltsamen Ablehnung, die sie empfinden, aber mit Worten aufheben wollen, bemühen sich die Opfer vergeblich, zu verstehen und sich zu erklären. Sie suchen nach Gründen für das, was ihnen geschieht, und verlieren, da sie keine finden, jegliche Sicherheit, werden reizbar oder aggressiv und fragen immer wieder: «Was habe ich bloß getan, daß man mich derart behandelt? Es muß doch wohl einen Grund dafür geben?» Sie suchen nach logischen Erklärungen, während der Vorgang sich verselbständigt und nichts mehr mit ihnen zu tun hat. Häufig sagen sie zu ihrem Aggressor: «Sag mir, was Du mir vorwirfst; sag mir, was ich tun soll, damit unsere Beziehung sich bessert», und der antwortet immer gleichbleibend: «Es gibt nichts zu sagen, es ist einfach so. Du begreifst sowieso nichts!» Die Ohnmacht ist die schlimmste aller Strafen.
Selbst wenn die Opfer ihren Anteil am Zustandekommen der Gewalt kennen, so sehen sie auch, daß sie allein durch das, was sie sind, den zerstörerischen Prozeß auslösen. Sie allein tragen die Verantwortung, die Aggressoren werden immer reingewaschen. Es ist schwierig, sich aus dieser Verbindung zu lösen; denn die ersten Schläge, die ihnen versetzt wurden, haben zu einem entfremdenden Schuldgefühl geführt. Sind sie erst einmal in der Position des Schuldigen, fühlen die Opfer sich verantwortlich für den Zustand dieser Verbindung. Ihr Schuldgefühl berücksichtigt in keiner Weise die Wirklichkeit. Sie haben verinnerlicht, was sie angreift.
Dieses Schuldgefühl wird oft von der Umgebung verstärkt, die – ihrerseits verwirrt – selten zu helfen versteht, ohne zu urteilen, und gefühllose Kommentare oder Erklärungen abspult: «Du müßtet weniger dies oder mehr das sein! .... Glaubst Du nicht, daß Du Öl ins Feuer gießt? Wenn er so ist, dann hast du wohl etwas getan, was ihm gegen den Strich ging ...»
In unserer Gesellschaft gilt Schuldgefühl als etwas Negatives: Man leistet sich keine Stimmungen, man muß sich als der Stärkere erweisen. Wie man sagt, daß es keinen Rauch ohne Feuer gibt, so hat die Gesellschaft die Tendenz zu sagen, es gebe kein Schuldgefühl ohne Vergehen. In den Augen außenstehender Beobachter laden die Perversen ihren Opfern die Schuld auf.
Der Streß
Die Unterwerfung hinzunehmen ist nur um den Preis einer gewaltigen inneren Anspannung möglich; dem anderen keinen Anlaß zu Unzufriedenheit geben, ihn beruhigen, wenn er erregt ist, sich zwingen, nicht zu reagieren. Diese Spannung erzeugt Streß.
Angesichts einer Streßsituation reagiert der Organismus damit, daß er sich in Alarmzustand versetzt durch Produktion von Hormonstoffen, Schwächung des Immunsystems und Veränderung der Neurotransmitter im Gehirn. Anfangs handelt es sich um ein Anpassungsphänomen, das es erlaubt, einem Angriff, gleich welchen Ursprungs,
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