Die Masken der Niedertracht
«draußen» darüber sprechen? Die heimliche Zerstörung läßt sich nicht in Worte fassen. Wie einen haßerfüllten Blick beschreiben, eine Gewalt, die sich nur in Anspielungen oder Andeutungen zeigt? Sichtbar wird die Gewalt nur mit Blick auf den gequälten Partner. Wie könnten die Freunde sich vorstellen, was geschieht? Selbst wenn sie zufällig die Realität der Aggressionen miterlebten, wären sie doch auch nur verwirrt und entsetzt. Im allgemeinen hält die Umgebung – selbst die nahe – lieber Abstand: «Da wollen wir nicht hineingezogen werden!»
Die Opfer zweifeln an ihren eigenen Wahrnehmungen, sind nicht sicher, nicht zu übertreiben. Wenn die Aggressionen sich vor Zeugen ereignen, kommt es vor, daß die Opfer, die immer Beschützer ihres Aggressors sind, deren Reaktionen für übertrieben halten und sich in der paradoxen Lage befinden, den zu verteidigen, der sie angreift, um nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.
9. Die längerfristigen Folgen
Der Schock
Die Opfer sind geschockt, wenn sie sich der Aggression bewußt werden. Bis dahin waren sie nicht argwöhnisch, wahrscheinlich sogar zu vertrauensselig. Selbst wenn Außenstehende sie auf ihre Unterwürfigkeit oder ihre zu große Nachsicht angesichts eines offensichtlichen Mangels an Achtung aufmerksam gemacht haben würden, sie hätten es abgelehnt, das einzusehen. Doch plötzlich begreifen sie, daß sie Spielball einer Manipulation gewesen sind.
Sie sind fassungslos, zutiefst verletzt. Alles bricht zusammen. Die Schwere des Traumas rührt her von dem Überraschungseffekt und von der fehlenden Vorbereitung, die wiederum Folge des beherrschenden Einflusses ist. In diese Erschütterung mischen sich Schmerz und Beklemmung. Das Gefühl von gewaltsamem Eindringen, von Bestürzung, von Überrolltwerden, von völliger Niedergeschlagenheit beschreiben gewisse Opfer wie eine körperliche Aggression: «Es ist wie ein Dolchstoß!» «Er beschimpft mich, er ist entsetzlich, ich fühle mich wie ein Boxer, der schon am Boden liegt und den man weiter mit Schlägen traktiert.»
Merkwürdigerweise beobachtet man selten Anwandlungen von Zorn oder Revolte, auch wenn die Opfer den Entschluß zur Trennung schon gefaßt haben. Trotzdem wäre Zorn Befreiung. Die Opfer können die Ungerechtigkeit ihres Geschicks genau benennen, sind aber nicht in der Lage zu revoltieren. Der Zorn kommt erst später, und dann ist es meist ein kontrollierter und daher wirkungsloser Zorn. Um zu befreiendem Zorn zu gelangen, müßten die Opfer sich erst von dem beherrschenden Einfluß freimachen.
Wenn ihnen die Manipulation zum Bewußtsein kommt, fühlen sich die Opfer erst einmal hintergangen, wie jemand, der betrogen wurde. Es ist immer wieder das gleiche Gefühl: getäuscht worden zu sein, mißbraucht, mißachtet. Sie entdecken erst spät, daß sie Opfer sind, daß man mit ihnen Schindluder getrieben hat. Sie verlieren die Achtung vor sich selbst und ihre Würde. Sie schämen sich der Reaktionen, die diese Manipulation in ihnen wachgerufen hat. «Ich hätte früher reagieren müssen!» «Wieso habe ich eigentlich nichts gemerkt?»
Die Scham kommt daher, daß ihnen ihre pathologische Bereitwilligkeit, die die Gewalt des anderen zugelassen hat, bewußt wird.
Manchmal drängt es diese Menschen, sich zu rächen, aber meistens sind sie eher auf der Suche nach Rehabilitierung, nach Anerkennung ihrer Identität. Sie hoffen auf Entschuldigungen von ihrem Aggressor, die sie aber nicht bekommen werden. Wenn sie Genugtuung erhalten, dann erst sehr viel später: von Zeugen oder passiven Mittätern, die ebenfalls – manipuliert von dem Perversen – bei der Aggression mitgespielt hatten.
Die Dekompensation
Die Opfer, ausgelaugt während der Phase des beherrschenden Einflusses, fühlen sich nun unmittelbar angegriffen. Die Widerstandsfähigkeit eines Menschen ist nicht unbegrenzt, sie erodiert fortschreitend, was zu einer psychischen Erschöpfung führt. Jenseits eines gewissen Quantums an Streß kann keine Anpassungsleistung mehr erbracht werden, und es kommt zur Dekompensation. Dauerhaftere Störungen stellen sich ein.
Im allgemeinen treffen wir Psychiater diese Opfer im Stadium der Dekompensation. Sie zeigen einen generalisierten Zustand der Beklommenheit, psychosomatische Störungen oder sind depressiv. Bei impulsiveren Personen kann die Dekompensation in der Form geschehen, daß sie zu gewaltsamen Handlungen übergehen, die zur Einweisung in die
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