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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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standzuhalten. Wenn der Streß punktuell ist und es dem Individuum gelingt, damit umzugehen, kommt alles rasch wieder in Ordnung. Zieht sich die Situation hin oder wiederholt sie sich in dicht aufeinanderfolgenden Intervallen, geht sie über die Anpassungsfähigkeit des Menschen hinaus, und die Aktivierung des neuroendokrinen Systems dauert an. Das Anhalten erhöhter Werte von Anpassungshormonen hat Störungen im Gefolge, die imstande sind, sich chronisch einzunisten.
    Die ersten Anzeichen von Streß sind, je nach Empfindlichkeit des einzelnen, Herzklopfen, Beklemmungsgefühle, Atemnot, Erschöpfung, Schlafstörungen, Nervosität, Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Unterleibsschmerzen sowie psychische Symptome wie Ängstlichkeit.
    Die Streßanfälligkeit variiert von einem Menschen zum anderen. Lange hat man geglaubt, es handele sich um eine biologische, genetische Anlage. Heute weiß man, daß man sich diese Schwäche nach und nach zuziehen kann, wenn man mit chronischen Aggressionen konfrontiert ist. Allerdings sind Personen mit impulsivem Charakter anfälliger für Streß, während die Perversen es überhaupt nicht sind. Sie reagieren sich ab, indem sie beim anderen Leid auslösen. Sie sind zum Beispiel die einzigen, die keine Kriegsneurose aufweisen, wie nach dem Vietnamkrieg zu beobachten war.
    Der Aggressor entgeht dem Streß oder dem inneren Leiden, indem er für all seine Störungen den anderen verantwortlich macht. Die Opfer finden keinen Ausweg, da sie den Vorgang, der abläuft, nicht verstehen. Nichts hat mehr Sinn, etwas wird gesagt, denn das Gegenteil, das Augenscheinliche wird abgestritten. Sie erschöpfen sich in Antworten, die immer unpassend sind, die die Gewalt nur verschärfen, Verschleiß nach sich ziehen und schließlich zu einer echten neurovegetativen Störung führen.
    Da diese Spannungen sich über lange Zeiträume fortsetzen (Monate, manchmal Jahre), läßt die Widerstandskraft des Organismus nach, er kann das Auftreten einer chronischen inneren Unruhe nicht mehr vermeiden. Funktionelle und organische Störungen können eintreten, hervorgerufen durch die neurohormonellen Stöße.
    Nach einer langen Serie von Mißerfolgen verlieren die Opfer den Mut und antizipieren neuen Mißerfolg. Was wiederum den Streß erhöht und alle Abwehrversuche immer vergeblicher macht.
    Dieser chronische Streßzustand kann zum Auftreten eines allgemeinen inneren Angstzustands führen – mit anhaltender Furcht und Furchtvorwegnahme, ängstlichen Grübeleien, die schwer zu beherrschen sind, kurzum einem Zustand ständiger Spannung und übermäßiger Wachsamkeit.
     
     
    Die Angst
     
    Egal, ob die narzißtischen Perversen ihren Zweck erreichen oder nicht, sie bringen im anderen eine Gewaltbereitschaft zum Vorschein, die sie lieber nicht sehen wollen.
    Alle Opfer beschreiben in diesem Stadium ein Gefühl von Angst. Sie sind ständig auf der Hut, belauern den Blick des anderen oder die Schroffheit seiner Gebärden, den eisigen Ton, der eine unausgesprochene Aggressivität verdecken könnte. Sie fürchten die Reaktion des anderen, seine Anspannung oder seine Kälte, wenn sie mit seinen Erwartungen nicht übereinstimmen, fürchten verletzende Bemerkungen, Sarkasmen, Spott.
    Ob die Opfer – in Schrecken versetzt wie sie sind – sich nun fügen oder aber reagieren, in jedem Falle sind sie im Unrecht. Im ersten Fall werden die Perversen – und vielleicht auch die Umgebung – sagen, sie seien wahrhaftig die «geborenen Opfer». Im zweiten wird man ihr Ungestüm anprangern, sie beschuldigen, sie für das Scheitern der Beziehung verantwortlich machen, aber auch für alles andere, was nicht klappt – jedem Augenschein zum Trotz.
    Um dieser Gewalt zu entgehen, neigen sie dazu, sich immer liebenswürdiger, immer versöhnlicher zu zeigen. Sie wiegen sich in der Illusion, dieser Haß könne sich auflösen in Liebe und in Wohlwollen. Das bekommt ihnen schlecht; denn je großmütiger man sich einem Perversen gegenüber zeigt, um so mehr verunsichert man ihn. Indem man sich bemüht, wohlwollend zu erscheinen, zeigt man ihm nur, in welchem Ausmaße man ihm überlegen ist, was natürlich seine Gewaltbereitschaft nur neu belebt.
    Wenn dagegen den Angegriffenen plötzlich Haß überkommt, freuen sich die Perversen. Das gibt ihnen recht: «Nicht ich hasse ihn/sie, er/sie haßt mich.»
     
     
    Die Vereinsamung
     
    Wie soll man mit all dem fertig werden? Die Opfer fühlen sich alleingelassen. Wie soll man aber

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