Die Masken der Niedertracht
psychiatrische Klinik führen. Nicht selten erscheinen diese Störungen in den Augen des Aggressors wie eine Rechtfertigung für ein Quälen.
Erstaunlicherweise sind Arbeitnehmer, die an ihrem Arbeitsplatz gequält werden und die wir in diesem Stadium sehen, selten einverstanden, wenn wir ihnen vorschlagen, sich krankschreiben zu lassen: «Wenn ich aufhöre, wird alles nur noch schlimmer! Man wird es mich büßen lassen!» Die Angst führt dazu, alles hinzunehmen.
Diese depressiven Zustände sind verbunden mit Erschöpfung, mit einem Übermaß an Streß. Die Opfer fühlen sich leer, abgespannt, ohne Energie. Nichts interessiert sie mehr. Es gelingt ihnen nicht mehr zu denken oder sich zu konzentrieren, nicht einmal auf ganz gewöhnliche Tätigkeiten. Unter diesen Umständen können Selbstmordideen auftauchen. Das Risiko ist am größten in dem Augenblick, da ihnen bewußt wird, daß sie hintergangen worden sind und keine Aussicht besteht, daß man anerkennt, daß sie im Recht sind. Ereignet sich ein Selbstmord oder ein Selbstmordversuch, so bestärkt das die Perversen in ihrer Gewißheit, daß der andere schwach war, zerrüttet, verrückt, und daß die Aggressionen, die man sie erdulden ließ, berechtigt waren.
Bei einer perversen Aggression richtet es der Aggressor so ein, daß er allmächtig erscheint, er trägt moralische Strenge und Weisheit zur Schau. Die Enttäuschung für das leichtgläubige Opfer ist daher um so größer. Ganz allgemein findet man unter den Ereignissen des Lebens, die imstande sind, einen depressiven Zustand auszulösen, nicht nur Erfahrungen von Trauer oder Trennung, sondern auch den Verlust eines Ideals oder einer Vorstellung, die zu hoch angesetzt war. Daraus entsteht ein Gefühl von Nutzlosigkeit, Ohnmacht, Niederlage. Eher als eine schwierige oder gefährliche Situation ist es die Erfahrung von Niederlage und Ohnmacht, das Gefühl, gedemütigt und in einer Falle gefangen zu sein, die auslösendes Element einer depressiven Phase sein kann.
In einer Situation des Quälens stellt sich nach zahlreichen fehlgeschlagenen Dialogversuchen ein Zustand dauernder Angst ein, «festgefroren», genährt von immer wieder neuen Aggressionen – Vorläufer der chronischen Furcht und Antizipation, die oft einen verstärkten Arzneikonsum notwendig macht.
Bei anderen Opfern ist die Reaktion physiologisch: Magengeschwüre, kardiovaskuläre Erkrankungen, Hautkrankheiten ... Manche von ihnen sieht man abmagern, schwach werden und durch den Körper eine psychische Verletzung ausdrücken, die ihnen nicht zum Bewußtsein kommt und die bis zur Zerstörung ihrer Identität gehen kann. Die psychosomatischen Störungen sind nicht unmittelbare Folge der Aggression, sondern Folge der Tatsache, daß die Person unfähig ist zu reagieren. Was immer sie tut, sie hat unrecht, was immer sie tut, sie ist schuldig.
Bei wieder anderen erfolgt die Antwort – ihrem Verhalten und ihrem Charakter entsprechend – unmittelbar aus der perversen Herausforderung. Vergebliche Versuche, Gehör zu finden – z. B. eine Nervenkrise in der Öffentlichkeit oder eine aggressive Handlung gegenüber dem Aggressor –, tragen ebenfalls dazu bei, die Aggression zu rechtfertigen: «Ich hab’s ja immer gesagt, er/sie ist total krank!»
Man weiß, daß die impulsive Aggressivität, genau wie die raubtierhafte Aggressivität, zum Gewaltverbrechen führen kann, aber es hat den Anschein, als sei das Risiko eines Gewaltverbrechens größer bei Individuen, die eine Aggressivität vom impulsiven Typus aufweisen. Um zu beweisen, daß ihr Opfer böse ist, sind die Perversen bereit, es zur Gewalttätigkeit gegen sie anzustiften. In dem Film Passage à l’acte von Francis Girod (1996) manipuliert ein Perverser seinen Psychoanalytiker, bis er ihn so weit hat, daß er ihn tötet. Bis zum Ende wird er es sein, der die Spielregeln bestimmt hat. Es kommt vor, daß das Opfer diese Gewalttätigkeit gegen sich selbst wendet, da der Selbstmord die einzige Lösung ist, sich seines Aggressors zu entledigen.
Eine weitere, häufig nicht beachtete Folge des Traumas ist die Dissoziation (Spiegel, 1993), 37 die man beschreiben kann als ein Bersten der Persönlichkeit. Sie wird definiert als das Eintreten einer Störung, die normalerweise integrierte Funktionen wie Bewußtsein, Gedächtnis, Identität oder Umweltwahrnehmung berührt. Es handelt sich um ein Phänomen der Verteidigung gegen die Angst, den Schmerz oder die Ohnmacht angesichts eines traumatischen
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