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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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ihrer gepanzerten Röcke ihre von Seide umhüllten Beine.
       Dann wurden die Visiere heruntergeklappt und die Lanzen gesenkt, und die ersten beiden Kämpfer ritten in langsamem Galopp aufeinander zu und prallten sodann dröhnend zusammen, wobei des einen Lanze mit wuchtigem Stoß gegen den Schild des anderen stieß. Beide wurden in den Sätteln zurückgeworfen, jedoch nicht vom Pferd geschleudert, und so brachte das Treffen beiden Kämpfern gleichviel Ehre ein. Diese Begegnung, das Herz des Schauspiels, nahm weniger Zeit in Anspruch als das Aufsagen der ersten drei Worte eines Bußpsalms.
      So ging es den ganzen Morgen hindurch: das Schmettern der Fanfaren, die Rufe, das durch den Schnee gedämpfte Stampfen der Hufe, das laute Dröhnen, wenn zwei schwerbewaffnete Männer gegeneinander prallten – all diese Geräusche hallten über den Kampfplatz. Ich wartete darauf, den Ritter vom Baldachin und Narbengesicht kämpfen zu sehen. Der Name, den der Herold ausrief, lautete Roger von Yarm. Er hatte im Heiligen Land und auch in der Normandie gekämpft. Bei seinem ersten Kampf bewies er Geschick, indem er die Richtung seiner Lanzenspitze im letzten Augenblick so änderte, daß sie seinen Widersacher an der rechten Schulter traf, über dem Schild, und ihn in hohem Bogen über den Rumpf des Pferdes hinwegschleuderte, wobei er mit dem linken Fuß im Steigbügel hängenblieb, so daß sein Knappe herbeirennen mußte, seinen Herrn aus dieser mißlichen Lage zu befreien. Binnen weniger Augenblicke hatte Roger von Yarm als Preis ein Streitroß gewonnen, das mindestens fünfzig Livre wert war, und er hätte gar nicht wieder zu kämpfen brauchen. Doch am Nachmittag, ob nun verlockt durch den Wunsch nach größerem Ruhm oder aus schnöder Gewinnsucht, entschied er sich fürs Weiterkämpfen und bekam einen älteren Ritter zum Gegner, einen Veteranen von Poitiers, der von Derby hergekommen war, um am Turnier teilzunehmen.
       Sie gelangten zur Barriere, um ihren Gruß zu entbieten; Roger von Yarms wundersam geformter Helm verlieh ihm einen Größenvorteil von gut zehn Zoll gegenüber dem Veteranen. Ich besitze die Gabe der Vorahnung, wie ich bereits gesagt habe, und während die Kontrahenten innerhalb der Schranken ihre Plätze einnahmen, wuchs in mir das Gefühl, daß etwas Schlimmes geschehen würde.
       Dann wurde das Zeichen gegeben, und die Gegner trieben ihre Pferde voran und hielten die Lanzen stoßbereit. Wie es dann genau geschah, sah ich nicht. Die Lanze des älteren Ritters wurde abgelenkt, jedoch nicht weit genug; sie glitt über den Schild des anderen, und zwar nach oben, in Richtung des Kopfes. Im allerletzten Augenblick hob Roger von Yarm mit großer Gewandtheit seinen Schild, um die Lanzenspitze an sich vorüber zu lenken. Hätte er einen Helm von herkömmlicherer Machart getragen, hätte dieses Manöver vielleicht gelingen können. So aber verfing sich die Lanzenspitze des Gegners, abgestumpft durch die Kappe, offenbar im Filigran der Helmzier und ließ die Scharniere des Visiers aufspringen, so daß Sir Roger einen schräg geführten Stoß an den Schädel abbekam und seitlich vom Pferd herunter schwer zu Boden stürzte, wo er bewegungslos liegenblieb.
       Als erster war sein Knappe bei ihm. Dann folgten mehrere andere, und gemeinsam trugen sie ihn von den Schranken fort. An der Stelle, an der er vom Pferd gestürzt war, färbte Blut den Schnee.
       Noch ein weiterer Kampf wurde ausgefochten; dann erhob sich der Baron, um das Ende dieses Turniertages zu verkünden. Der Nachmittag war bereits weit vorangeschritten und der Anbruch der Dunkelheit nicht mehr fern. Die Ritter trabten auf ihren Rossen davon, und ihre Knappen eilten ihnen hinterdrein. Der Baron überquerte den Hof und entschwand mit seinem Gefolge und den hochwohlgeborenen Gästen in der Burg. Bedienstete kamen heraus, um die rot und golden gefärbten Planen herunterzunehmen, mit denen die Pavillons überspannt waren. Das Tageslicht versickerte im Schnee, und nichts blieb zurück als die kahlen Gestänge der Schranken und Barrieren, die leeren Tribünen und der dunkelnde Blutfleck.

Kapitel vierzehn 
    rst spät ließ er uns rufen. Man hatte uns wieder etwas zu essen gebracht, Blutwurst und Brot und ein wenig dünnes Bier. Die Kerzen waren angezündet worden, und wir lagen ausgestreckt auf dem Stroh. Der Verwalter kam mit zwei Bewaffneten, uns zu holen. Doch wurden wir nicht in den großen Saal geführt, wie wir es erwartet hatten, sondern durch

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