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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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umrühren.
       Es war eine überaus prachtvolle Szenerie, die sich vor uns ausbreitete. Die Tribünen hatten sich mit Zuschauern gefüllt, während wir uns beraten hatten, und vom einen Ende bis zum anderen waren die Schranken mit Flaggen in leuchtenden Farben geschmückt. Beritten und gepanzert, jedoch mit noch offenem Visier, paradierten die Ritter, die am Turnier teilnahmen, in langer Reihe über den Hof, und ihre Streitrosse, die mit prächtigen Decken behängt waren, hoben beim Klang der Fanfaren die Köpfe und mahlten auf den Zaumstücken, und ihre Reiter ruckten an den Zügeln und ließen die Pferde tänzeln, daß es gewaltig klirrte. Der Himmel über uns war wolkenlos und fahl und wirkte sehr fern. Der Schnee auf dem Hof war zerwühlt und zertrampelt und hie und da von Pferdeäpfeln verunreinigt; doch war er noch immer weiß und fest, und die Wellen und Wächten glitzerten schwach im Licht.
       Die Ritter salutierten, als sie vorüberritten, und die vornehmen Damen im Pavillon warfen Schals und Tücher zu jenen Kämpfern hinunter, die sie zu ihren Lieblingen erkoren hatten. Vor dem strahlend weißen Hintergrund des Schnees blendete mir all diese Schönheit die Augen: die farbenprächtigen Kleider der Damen; die flatternden Wimpel, mit denen die Tribünen und Schranken geschmückt waren, scharlachrot und silbern und blau; die Wappen auf den Schilden und Brustpanzern der Ritter; das Funkeln von Pferdegeschirr und erhobenen Lanzen und Helmen mit bunter Zier.
       Jetzt waren wir das Publikum und die Ritter die Schauspieler. Und das Stück, das sie vorführten, waren ihr Mut und ihr Stolz. Ich hatte zuvor schon Lanzenkämpfe gesehen, auf Höfen und auf offenem Gelände, Gefechte zwischen ruhmreichen Recken und Massenkämpfe, an denen hundert Ritter teilnahmen, deren Waffen manchmal stumpf gemacht worden waren, manchmal auch nicht. Es ist ein Spektakel, das bei den Leuten zur Zeit sehr beliebt ist. Das Publikum strömt in Massen herbei, um dieses Schauspiel zu erleben; die Leute drängen sich so dicht zusammen, daß sie eine leichte Beute für Taschendiebe und Dirnen sind. Jetzt aber, als wieder die Posaunen schmetterten und die Herolde riefen, kam mir zum erstenmal der Gedanke – vielleicht, weil ich nun selbst ein Schauspieler war –, daß dies hier das großartigste Beispiel für ein Schauspiel darstellte, das unsere Zeit zu bieten hatte. Wir waren berufsmäßige Künstler, die in Rollen schlüpften, die ihnen geeignet erschienen. Der Adel hatte nur die eine Rolle, an der er jedoch hartnäckig festhielt, wenngleich Päpste und Könige die Turniere ihrer Gewalttätigkeit, des Pomps und Prunks und der immensen Kosten wegen verdammten; denn dieselben Päpste und Könige hätten das Geld lieber für ihren eigenen Unterhalt verwendet. Die Dominikaner predigten regelmäßig gegen die Turniere und beschimpften sie als heidnische Rituale, doch all ihre Beredsamkeit nützte nichts. Ja, der heilige Bernhard persönlich wetterte gegen diese Lanzen- und Schwertkämpfe und verkündete, daß jeder, der auf einem Turnier getötet werde, schnurstracks zur Hölle fahre; doch auch des Heiligen Worte trafen auf taube Ohren. Selbst die Androhung der Exkommunikation blieb ohne Wirkung. Dies war die Rolle, die den Adligen Reichtum und Macht eingetragen hatte, und entsprechend mußten sie sich kleiden und sich mit Zeichen und Wappen schmücken; denn was sind Macht und Reichtum, wenn man sie nicht zur Schau stellt?
       In diesen Gedanken wurde ich durch den Vortrag des Prologs unterbrochen, wie man es in der Sprache der Schauspielerei bezeichnen würde. Es fällt dem Veranstalter der Turniere zu, die Kampfesregeln zu verkünden. Der Edelmann, der sich nun von seinem Platz im Pavillon erhob, war der Gastgeber der Ritter wie auch von uns armen Schauspielern: Sir Richard de Guise. Zum erstenmal hatten wir die Möglichkeit, jenen Mann zu sehen, der uns auf seine Burg hatte bringen lassen, auf daß wir für seine Unterhaltung sorgten. Wir befanden uns in zu großer Höhe über dem Burghof, als daß wir ihn deutlich hätten sehen können. Zweifellos war er hochgewachsen und wirkte eindrucksvoll in dem Umhang aus blauem, mit Hermelin gesäumtem Samt, den er lose um die Schultern trug. Doch sein Gesicht blieb uns der Krempe seines Hutes und der Feder wegen, welche diesen an der Seite zierte, verborgen. Es war ein langes Gesicht, das eben dieser Länge wegen schmal wirkte und auffallend blaß war.
       In der achtungsvollen Stille,

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