Die Masken der Wahrheit
Durham gesandt worden. Beim Abendessen, wenn die Bewohner des Hauses und ihre Gäste in aufgeräumter Stimmung sind, sind Schauspieler und fahrende Musikanten oftmals sehr gefragt. Doch als wir diesen kahlen Raum mit dem einen leeren Stuhl betreten hatten, der wie der Thron Gottes aussah, welcher darauf wartete, daß der Allmächtige am Tag des Jüngsten Gerichts darauf Platz nahm, da verlor unsere klägliche Hoffnung allen Halt und fiel in sich zusammen; nun konnte uns nichts mehr vor der Erkenntnis bewahren, daß wir uns in großer Gefahr befanden.
Die Hand des Verwalters lag auf dem Griff seines Dolches, doch wußten wir, daß er ihn nicht ziehen würde. Auf seine Weise war er genauso hilflos wie wir. Wie er sich uns gegenüber verhalten hätte, weiß ich nicht, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und die beiden Soldaten reckten sich, stießen krachend die Schäfte ihrer Hellebarden auf den Steinfußboden, und Sir Richard de Guise betrat den Raum.
Statt des Umhangs von vorhin trug er jetzt ein gestepptes Gewand von dunkelroter Farbe und eine flache Kappe mit einer schwarzen Quaste an der Seite.
Auf seiner linken Faust hockte ein verkappter Falke. »Laßt die Männer draußen vor der Tür Posten beziehen, Henry«, sagte er. »Sorgt dafür, daß sie in Rufweite bleiben. Dann kommt zurück und stellt Euch hinter meinen Stuhl.«
Nun blickte er zum erstenmal uns an, während der Verwalter sich anschickte, den Befehlen seines Herrn nachzukommen. »Nun denn«, sagte er, »ihr seid also die Schauspieler, von denen ich gehört habe.« Langsam ließ er seine Blicke über uns hinweggleiten. Seine Augen waren blaßblau, mit schweren Lidern, und sein musternder Blick war so fest und bohrend, daß es schwerfiel, ihm zu begegnen. Die an den Schläfen eng anliegende Kappe verlieh dem langen, dünnlippigen Gesicht einen Ausdruck von Nacktheit und Strenge. »Wir werden euer Können nun auf die Probe stellen«, sagte er.
Nachdem er in seinem Stuhl Platz genommen und der Verwalter hinter ihm Stellung bezogen hatte, schwenkte der Baron eine Hand in unsere Richtung. »Soviel ich weiß, hat man eure Lumpen ins Gemach dort hinten gebracht«, sagte er. »Ihr könnt beginnen.«
Martin trat aus unserer Gruppe vor und verbeugte sich. »Edler Herr, wir fühlen uns zutiefst geehrt und werden versuchen, Euch zufriedenzustellen «, sagte er. »Eure Erlaubnis vorausgesetzt, möchten wir Euch das Stück von der Geburt unseres Herrn Jesus Christus vorführen, wie es der Jahreszeit angemessen ist.«
Das lange Gesicht blieb ausdruckslos. Ein kurze Pause des Schweigens trat ein; dann erklang wieder die Stimme, so bedächtig und beherrscht wie immer. »Ich habe euch nicht hierherholen lassen, um mir anzusehen, wie ihr meine Religion dem Hohn und Spott preisgebt. Das Stück vom toten Jungen will ich sehen. – Henry, wie lautete gleich der Name dieses Knaben?«
»Thomas Wells, Euer Lordschaft.«
»Gut, ja, richtig. Ich wünsche das Stück von Thomas Wells zu sehen. «
Nichts weniger hatten wir erwartet, doch spürte ich, wie mir bang ums Herz wurde. Nun aber überraschte Martin uns und gab uns den Mut zurück. Er entbot die italienische Ehrerbietung, die von Schauspielern zur Darstellung übertriebener Höflichkeitsbezeugungen von Intriganten und hinterhältigen Bediensteten benutzt wird: der Oberkörper wird leicht vorgebeugt, und die rechte Hand in flachem Bogen von links nach rechts geschwungen. »Wie der Herr es wünscht«, sagte er. Nacheinander vollführten nun auch wir anderen die Ehrbezeugung, die mir jedoch nur kläglich gelang; denn sie ist schwieriger, als es einem erscheinen mag, und ich hatte sie noch nie geübt. Dann führte Martin uns in die Kammer im hinteren Teil, in der sich unsere Sachen befanden, und jeder kleidete sich für seine Rolle ein. Doch konnten wir nirgends die schwarze Mord-Geldbörse finden, die Tobias angefertigt hatte; deshalb mußten wir uns mit der kleineren Börse zufriedengeben, in der Martin unsere Gemeinschaftskasse aufbewahrte. Zeit für eine längere Besprechung blieb uns nicht; es reichte nur für eine eilige Absprache, alles genauso zu machen wie zuvor, jedoch nur bis zum Abgang der Avaritia; dann wollten wir einen Boten auftreten lassen, der die Nachricht vom Erhängen des Mönchs überbrachte, diesen Tod als Beweis für die Schuld des Ordensbruders anführte und ihn ein Zeichen der göttlichen Gerechtigkeit nannte, ohne Fragen nach
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