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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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leichenblaß, sein Blick starr. Doch er hielt sich an seine Rolle, weil er ebensogut wie wir anderen wußte, daß wir nur als Schauspieler – zu niedere Kreaturen, als daß der Baron seinen Zorn darauf verschwendet hätte – darauf hoffen konnten, vielleicht mit einer Prügelstrafe davonzukommen. Und so achtete Straw genauestens auf seine Trippelschritte und Schulterbewegungen, und er machte seine Sache gut. Der Superbia, die hinter ihm noch immer über die Bühne stolzierte und gestikulierte, schenkte er keine Beachtung. In der Mitte der Bühnenfläche wandte Straw sich unseren beiden Zuschauern zu und bedeutete ihnen durch Gebärden, daß er stumm sei: mit nach innen gedrehten Handflächen zeigte er auf sich selbst, um auf sein Gebrechen hinzuweisen, wobei er den Kopf mitleidheischend hin und her bewegte. In diesen Augenblicken flehte er um unser aller Leib und Leben. Dann richtete er sich auf, hob den Kopf und sprach, um ein Ende zu machen, in Reimen:
 »Die Gerechtigkeit gab mir die Zunge zurück,
     Der Mönch ward gehenkt für sein Bubenstück.
     Und sitz’ ich auch jetzt im Kerker drin,
     Die Gerechtigkeit zeigt, daß ich unschuldig bin …« 
    Ich glaubte, nun hätte er sich verbeugt, und wir anderen wären seinem Beispiel gefolgt, doch Martin ließ uns keine Zeit. Er trat nun vor, schritt mitten zwischen uns hindurch und zischte dabei – nicht das Zischen der Schlange, sondern jenen schärferen Laut, der mit fest zusammengepreßten Zähnen erzeugt wird. Dann wandte er sich uns zu, die rechte Hand zum Zeichen erhoben, daß wir bleiben sollten. Sein Rücken war den Zuschauern zugekehrt. »Der Hochmut macht den Schluß, nicht die Gerechtigkeit«, sagte er. »Oder glaubt ihr, der Stolz würde hinnehmen, daß der Schluß ohne ihn gemacht wird, wo er doch der Meister des Spiels ist?« Während er diese Worte sagte, vollführte er für uns – durch seinen Körper vor den Zuschauern verdeckt – das Zeichen des Flehens.
       Wir nahmen im Halbkreis hinter ihm Aufstellung. Noch immer gehorchten wir ihm, wenngleich in höchster Verwirrung, weil Martins Tun nichts weniger als ein Verstoß gegen das elementare Gebot der Schauspieler war, wonach der Sprechende nicht verdeckt sein darf. Wir fühlten uns verraten; Martin hatte das Stück gesprengt und uns die Rollen weggenommen. Und doch waren wir immer noch in dem Schauspiel gefangen, wie auch in dem düsteren Gemach, weil in unserem Inneren für uns selbst kein Platz mehr war, nur noch für den Schatten des Galgenbaumes. Es war Illusion in der Illusion, doch wider alle Vernunft klammerten wir uns daran. Solange Straw die stumme Frau war und Springer der Thomas Wells und ich der Gute Rat, konnten wir nicht fortgeschleift und gehängt werden.
       Jetzt wandte Superbia sich den Zuschauern zu, jedoch auf eine Art und Weise, daß mir der Magen hochkam und ich das Prickeln von Schweiß auf der Haut spürte, selbst in diesem bitterkalten Gemach. Martin drehte sich ganz langsam um, mit kurzen Schritten, wobei er den Kopf gesenkt hielt wie eine monströse Bestie, die in ihrer Ruhe gestört worden war und sich jetzt drohend dem Störenfried zuwandte. Und diese Bedrohung des Barons war es, die meinem Herzen einen solchen Schlag versetzte, die mich wie ein Übelkeitsanfall überkam und mir einen Vorgeschmack darauf gab, was Martin beabsichtigte.
       Hoch aufgerichtet stand er nun den Zuschauern gegenüber. Wieder reckte er den Hals; wieder schweifte sein prüfender Blick langsam von einer Seite zur anderen. Er machte Gesten wie ein Schwimmer, schien mit den Armen Hindernisse zur Seite zu schleudern. »Der Meister des Spiels«, sagte er noch einmal. »Er steht hier, und er sitzt dort.«
       Ich stand auf gleicher Höhe mit ihm und konnte die Maske von der Seite sehen, wie auch die Bewegungen seiner Kehle, als er nun verstummte. Die Fackel an der Wand hinter mir loderte einige Augenblicke heller auf, und die Flamme tanzte über die abstoßenden Brauen und das schnabelartige Mundstück der Maske und die Schultern des Umhangs. Der Baron bewegte ganz leicht den Arm – die erste Bewegung, die ich bei ihm gewahrte –, und der Falke trippelte kurz auf dem Lederhandschuh, um das Gleichgewicht zu wahren. »Man redet mich mit vielen Namen an«, sagte Martin. »Als Stolz und Überheblichkeit, als Macht und Regiment. Doch was kümmern mich Namen, solang’ ich meine Herrschaft erhalten kann?«
       Er sprach mit einer Stimme, die nicht die seine war. Sie erklang durch den

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